Covid-19 bekämpfen – Grundrechte verteidigen

Wir, als Bundesverband der Migrantinnen in Deutschland e.V. sehen viele Maßnahmen zur Eindämmung der Corona – Pandemie als Einschränkung unserer Grundrechte. Gesundheit darf nicht gegen Grundrechte ausgespielt werden.

Nun ist es raus. Der „Lockdown“ (eine aus Sicherheitsgründen verhängte temporäre staatlich-verordnete und durchgesetzte Einschränkung des öffentlichen Lebens) wird schrittweise gelockert. Können wir jetzt aufatmen? Ist der Virus bekämpft? Was erwartet uns nach dieser Zeit? Das und weitere Fragen beschäftigen uns alle.

Die Menschheit hat in ihrer Geschichte etliche Epidemien und Pandemien erlebt, aber sie verfolgt zum ersten Mal, Minute für Minute die Entwicklung einer Viruspandemie. Zahlen, Prognosen und Szenarien prasseln unentwegt ein und diese Informationsflut steigert die Angst vor einer unhaltbaren Bedrohung und beeinträchtigen uns andere vielleicht bleibende Nachteile und Gefahren zu erkennen.

Schon seit einigen Tagen wurde intensiv über Lockerungen der Maßnahmen oder Beendigung des „Lockdown“ gesprochen. Auch wenn die Infektionszahlen nicht so steil ansteigen wie vor einer Woche oder zehn Tagen, wundern sich dennoch viele Menschen zu Recht, wie die Politik zu dieser Entscheidung kommt.

Blicken wir mal zurück. Einige Tage vorher, wurde über eine bundesweite Ausgangssperre diskutiert (in Bayern und Saarland wurde sie schon verhängt). In allen Bundesländern wurden bereits weitgehende Beschränkungen erlassen und durchgesetzt. Zentrale Grundrechte, wie die Versammlungs- und Bewegungsfreiheit wurden außer Kraft gesetzt, die Entscheidungsbefugnisse der Parlamente umgangen oder direkt ausgeschaltet. Bedenklich dabei ist, dass es unklar ist, wie lange diese Beschränkungen anhalten werden, bzw. hat die Regierung überhaupt die Absicht, demokratische Rechte nach dem Abklingen der Pandemie wieder in vollem Umfang herzustellen. Die Kritik, dass die jetzige Situation rücksichtslos genutzt wird, um elementare Freiheiten dauerhaft zu beschneiden, erkämpfte Rechte aufzuheben und ein Sicherheits- und Polizeistaat auszubauen ist nicht abwegig. In diesem Zusammenhang könnte der Bundeswehreinsatz im Inneren als Normalität etabliert werden.

Mit dem Hinweis die Pandemie eindämmen zu wollen, wurden in den vergangenen Tagen mehrere Demonstrationen und Proteste verboten oder von der Polizei zerschlagen. Obwohl die Teilnehmenden die Abstandsregeln einhielten und darüber hinaus Schutzmaßnahmen wie Masken oder Größenbeschränkungen der Versammlungen einplanten, wurde vielerorts jeder Protest verhindert. In Frankfurt ging die Polizei am 5. April, nach der Auflösung der Demonstration der „Seebrücke“ gegen Journalisten brutal vor. Sogar Balkonkonzerte wurden in Sachsen-Anhalt, Wernigerode verboten, weil sie gegen das geltende Veranstaltungsverbot verstoßen würden.

Und nun wird über einen gemächlichen Übergang zur „Normalität“ diskutiert. Es ist schon erstaunlich wie schnell sich bestimmte Meinungen und Entscheidungen ändern. Noch vor einer Woche oder 10 Tagen hieß es „das kann Monate andauern“ gar Jahre bis Normalität einkehrt. Die Infektionszahlen sind zwar rückläufig, die Verdoppelung der Infizierten ist, laut Robert Koch Institut auf 35 Tage gestiegen, dennoch ist der Anstieg nicht gestoppt und immer wieder ist auch die Rede von „Wellen“ in der sich die Infektion verbreiten wird.

Die grundlegende Frage ist doch, was waren die eigentlichen Gründe für ein derartiges Vorgehen, wonach das soziale Leben auf das Minimum reduziert werden musste, die große Furcht, im Falle einer Infektion nicht versorgt werden zu können, immer größer wurde etc.

Außer Frage steht doch, dass die neoliberale Politik, die von Gesundheitswesen bis hin zu Ausbau von prekärer Beschäftigung alles kaputt gespart hat (als Vergleich: Im Haushalt 2019 wurde für Verteidigung 43,23 Mrd., für Gesundheit 15,31 Mrd. ausgegeben) und unsichere Verhältnisse geschaffen hat, sich jetzt nicht, mit dem Argument die Infektion einzudämmen durch rigorose Eingriffe die Hände reinwaschen kann.

Was passiert jetzt?

Die Pandemie wird dazu benutzt mit Notverordnungen nach dem Infektionsschutzgesetz eine reaktionäre Politik zu festigen und zu legitimieren. Die rechtliche Grundlage für die aktuellen Maßnahmen, mit denen die Regierung die Ausbreitung des Coronavirus eindämmen will, ist das Infektionsschutzgesetz (IfSG). Im Fall einer Pandemie ermöglicht es das Infektionsschutzgesetz, unsere Grundrechte teilweise weitreichend einzuschränken. Diese Einschränkungen müssen allerdings verhältnismäßig sein. Es sind also nicht alle Maßnahmen, die zum Infektionsschutz getroffen werden, automatisch rechtmäßig. Bei jeder einzelnen getroffenen Maßnahme muss der Grundrechtseingriff verhältnismäßig zu dem Zweck sein, den sie verfolgt.

Nordrhein-Westfalens Landesregierung, unter Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) wollte im Zuge der Corona-Krise zu weitreichenden Grundrechtseingriffen befugt werden.

Mit dem wohlklingenden Titel „zur konsequenten und solidarischen Bewältigung der Covid-19 Pandemie“, wollte die Landesregierung ohne jede zeitliche Begrenzung die harten Eingriffe beschließen lassen. Was nur durch erhebliche Proteste verhindert wurden konnte.

Sogar die Nationale Akademie der Wissenschaft (Leopoldina) spricht in ihrem „dritte Ad-hoc Stellungnahme (13.04.2020)“ von: „Hier geht es um ein angemessenes Verhältnis zwischen der Schwere des grundrechtlichen Eingriffs und der Bedeutung der mit den Maßnahmen verfolgten öffentlichen Belange. Die Grundrechtseingriffe müssen in Maß und Umfang in einem vernünftigen Verhältnis zu Ziel und Zweck der Maßnahmen stehen.“

Noch einmal: wie kommen diese Entscheidungen zu Stande? Wer entscheidet und vor allem auf welcher Grundlage?

Das Covid-19 existiert immer noch und wegen der Infektion sterben ja immer noch Menschen.

Auch in diesem Fall, wird die bekannte Methode benutzt. Wir werden regelrecht mit allen Mitteln darauf vorbereitet, um das was uns vorgesetzt wird zu akzeptieren.

Derzeit ist nicht viel mehr möglich als vorgefertigte Informationen zu konsumieren und sich daran zu orientieren. Wieder werden wir tagelang mit einer Informationsflut bearbeitet, vorbereitet und gefügig gemacht. Plötzlich ist alles möglich, wir sollen uns an die Abstandsreglung halten oder unsere Hände richtig waschen, dann klappt das schon.

Unter den derzeitigen Bedingungen ist das schwieriger als sonst gegen Entscheidungen von „Oben“ und die daraus folgenden Einschränkungen und Beschneidung unserer Grundrechte vorzugehen, was nicht heißt, dass wir in Schockstarre verfallen und alles widerspruchslos hinnehmen sollten oder müssten, wie unsere Rechte eingeschränkt werden und diese für die Zukunft bedeuten würden. An dieser Stelle sollten wir auch festhalten, wie kreativ und vielseitig die Menschen, trotz allen Einschränkungen ihren Protest und Forderungen durch Nutzung der sozialen Medien, durch Aktionen in ihren Vierteln, sei es Applaudieren und Plakate und Transparente aufhängen etc. zum Ausdruck gebracht haben.

Kritik ist unpopulär aber notwendig

Immer mit dem Zeigefinger nach Italien zeigen ist eine Verblendung. Verblendet werden wir auch zum Teil durch das Getöse der Medien und etablierten Politik.

Natürlich sind wir nicht dafür, dass diese Einschränkungen ewig dauern oder, dass sie sogar ausgeweitet werden.

Zu hinterfragen ist aber, warum diese recht plötzliche Umkehr?

Haben sich denn die schon vor der Pandemie angestauten Probleme und Defizite gelöst?

Wie steht es um unsere elementaren Grundrechte?

Auch in Deutschland, dessen Gesundheitswesen weltweit als eines der besten gilt, ist der Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung ungleich verteilt. Einkommen, Bildung, Geschlecht und Herkunft entscheiden, ob man gesund bleiben oder werden kann. Das ist nicht nur ungerecht, es verstößt gegen das Menschenrecht auf Gesundheit.

Die geschlossenen Frauenhäuser und Beratungsstellen und gekürzten Mitteln, rächen sich jetzt. Anlaufstellen für Frauen in Not, können der immensen Aufgabe nicht nachkommen, weil weder die finanziellen Mittel vorhanden sind, noch genügend Personal vorhanden ist.

Das Recht auf Arbeit wird sehr unterschiedlich aufgefasst. Arbeiten müssen, kann nicht gleichbedeutend sein mit alles akzeptieren und hinnehmen zu müssen was die Arbeitgeber und Kapitalbesitzer mit der herrschenden Politik uns aufzwingen. In einer Eilverordnung hat die Bundesregierung, einfach mal so das bisherige Arbeitszeitgesetz ausgehebelt. Der Arbeitstag wurde auf 12 Stunden erhöht und die Wochenarbeitszeit auf 60 angehoben. Auch die Ruhezeiten wurden von elf auf neun runtergesetzt. Es heißt diese Verordnung soll zeitlich begrenzt sein, doch die Richtung ist gegeben und angesichts der negativen Weltwirtschaftsprognosen, Deutschland etwa muss 2020 mit einem BIP-Verlust (BIP=Bruttoinlandsprodukt) von sieben Prozent rechnen, werden die Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt nicht weniger, sondern mehr.

Seit Beginn an, drehen sich die Diskussionen um die wirtschaftlichen Auswirkungen. In der Hinsicht hat die Regierung durchaus schnell und effektiv gehandelt. In der Gesamtsumme wurden 1,2 Billionen bereitgestellt. Siehe da, auf einmal ist genug Geld vorhanden! Schließlich geht es um die Zukunft der Konzerne und Banken.

Bekanntlich drängen Kapitalkreise auf ein baldiges Ende des Stillstandes in großen Teilen des Geschäftslebens. Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) fordert von der Regierung eine Ausstiegsstrategie nach Ostern. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) verlangt nach einem gemeinsamen Fahrplan von Politik und Wirtschaft in Richtung Normalität. Es scheint, dass die „große Bedrohung“ sehr schnell relativiert wird, wenn sie den Interessen des Kapitals zuwiderläuft.

Gegenwärtig ist das System noch nicht unbedingt von Streiks, Massenprotesten und sozialen Unruhen gefährdet. Es braucht zum jetzigen Zeitpunkt keine drastischen Maßnahmen. Es hat den Anschein aber, dass das was jetzt geschieht eine Auslotung der Akzeptanzgrenze und Vorbereitungsübungen für schwerere Zeiten der sozialen Umbrüche ist.

Angst und „Panik“ war und ist immer schon ein gutes Mittel gewesen außergewöhnliche Vorhaben durchzusetzen. In Krisensituationen ergreift der Staat die „Gunst der Stunde“, sich selbst als „Retter“ und Ordnungsmacht zu positionieren. Bedenklich ist, dass in solchen Zeiten die Bereitschaft zu Akzeptanz von Verzicht der Grundrechte wächst und die Freiheit der sogenannten Sicherheit geopfert wird.

Auf der anderen Seite haben wir in den letzten Wochen erlebt, wie Millionen Menschen, in unterschiedlicher Weise solidarisch waren mit denen, die Hilfe brauchen.

Und eben das ist unser Ansatz. Zusammen stehen, zusammen kämpfen, klare konkrete Forderungen stellen- sich dafür einsetzen und solidarisch sein. Nur so können wir Grundrechte verteidigen.

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