Bericht zum Weltflüchtlingstag 2015

Flüchtlingsfrauen in Deutschland – Die Praxis von DaMigra-Mitgliedsorganisationen

2014 wurden nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge BAMF insgesamt 173.072 Erstanträge auf Asyl in Deutschland gestellt, darunter waren rund 33 Prozent der Antragsteller_innen Frauen.

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Flüchtlinge sind Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, weil ihr Leben und das Leben ihrer Familie in Gefahr waren; Menschen, die auf Grund von Krieg, Gewalt, Armut, Hunger, Folter und Tod geflüchtet sind. Sie kommen nach Deutschland auf der Suche nach Schutz und nach einer besseren Zukunft. Aber auch nach ihrer Flucht sind sie Unsicherheiten, Ausgrenzungen und Diskriminierungen ausgesetzt.

Die Not geflüchteter Menschen ruft die Politik, die Öffentlichkeit und die Zivilgesellschaft auf den Plan. So haben sich in den letzten Monaten zahlreiche Initiativen gegründet, die ihre Solidarität gegenüber den Flüchtlingen bekunden und ihre Situation in Deutschland verbessern wollen. Unter dem Titel „Willkommenskultur“ initiiert und fördert die Politik derartiges Engagement mit Programmen und Förderungsmöglichkeiten für engagierte Freiwillige. Gleichzeitig sendet die deutsche Asyl- und Flüchtlingspolitik auch andere Signale. Vor allem die Ausweitung der Liste sogenannter „sicherer Herkunftsstaaten“ und die geplante Reform des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung stoßen auf scharfe Kritik.

Einige DaMigra-Mitgliedsorganisationen haben bereits langjährige Erfahrungen in der Arbeit mit Flüchtlingen, vor allem mit geflüchteten Frauen. Angesichts der aktuellen Debatten um die Situation von Flüchtlingen in Deutschland berichten drei Migrantinnenselbstorganisation von ihrer Arbeit und legen ihre Sichtweise auf die aktuelle Flüchtlingspolitik Deutschlands dar. Dabei kommen agisra e.V. in Köln, Hilfe von Mensch zu Mensch e.V. in München sowie Maisha e.V. in Frankfurt am Main zu Wort.

Warum engagieren sich Migrant_innenselbstorganisationen (MSO) für geflüchtete Menschen?

In zahlreichen Beiträgen werden die Begriffe „Flüchtling“ oder „Migrant“ Synonym verwendet. Doch es gibt wichtige Unterschiede zwischen diesen zwei Gruppen. Flüchtlinge werden dazu gezwungen aus ihrer Heimat zu fliehen, weil sie in ihren Herkunftsländern verfolgt werden und keinen staatlichen Schutz vor dieser Verfolgung erhalten. Migrant_innen verlassen zumeist aus eigenem Antrieb ihr Land, und suchen eine bessere Lebensperspektive für sich und ihre Familien. Die Grenzen sind hierbei fließend: Wann entsteht ein Zwang zur Flucht? Wann sind Not und Verfolgung so groß, dass jemand seine Heimat verlassen muss?

Auch in der Praxis ist eine Unterscheidung kaum möglich. Wer unter schwierigsten Bedingungen sein Heimatland verlassen hat und in Deutschland ankommt, der muss sich – ob „Flüchtling“ oder „Migrant“ – den gleichen Bedingungen stellen. Das bedeutet für die Flüchtlinge: Die Unterbringung in Sammelunterkünften, die Verarbeitung von beschwerlichen und gefährlichen Fluchtwegen und das Ankommen in ein fremdes Land ohne Sprachkenntnisse und ohne soziale Kontakte.

„die Menschen haben zu unserer Organisation schon mehr Vertrauen…“

Migrant_innenorganisationen sind in Deutschland bereits seit Jahren in der Flüchtlingsarbeit tätig. Frauen und Männer, die zum Teil selbst als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, engagieren sich ehrenamtlich oder hauptamtlich für geflüchtete Menschen in Deutschland. Auf Grund eigener oder ähnlicher Erfahrungen entstand das Bewusstsein, anderen Flüchtlingen Unterstützung und Beratung anzubieten.

Besonders Selbstorganisationen von Migrantinnen sehen daher Vorteile in ihrer Arbeit mit Flüchtlingen im Vergleich zu anderen Organisationen. Als Migrantinnen genießen sie einerseits schnelleres Vertrauen und andererseits ist ihnen ein anderer Zugang zu geflüchteten Frauen möglich. Sadija Klepo, Gründerin und Geschäftsführerin des Vereins Hilfe von Mensch zu Mensch e.V., kam selbst Anfang der neunziger Jahre als Flüchtlingsfrau mit drei kleinen Kindern nach Deutschland und erklärt sich das so:

„[…] die Menschen haben zu unserer Organisation schon mehr Vertrauen, weil sie wissen, dass Leute, die den gleichen Weg gegangen sind, selber Flüchtlinge waren, selber dieses Schicksal der Flucht und der Vertreibung erlebt haben, dass sie den Flüchtlingen mit mehr Empathie begegnen.“ (Sadija Klepo, Hilfe von Mensch zu Mensch e.V., 20. April 2015)

agisra e.V., eine Informations- und Beratungsstelle für Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen in Köln, hat sich seit der Gründung für geflüchtete Frauen eingesetzt. Auch Geschäftsführerin Jae-Soon Joo-Schauen betont die Besonderheit eigener Migrations- und Flüchtlingserfahrungen der Beraterinnen:

„Von Anfang an haben wir uns für die Rechte von Flüchtlingsfrauen eingesetzt, weil unter anderem unsere Kolleginnen selbst vor Verfolgung geflüchtet sind. agisra ist ein transkulturelles Team mit vielen verschiedenen Sprachkompetenzen, dadurch haben agisra-Frauen einen erleichterten Zugang zu Flüchtlingsfrauen. Weil wir mit frauenspezifischem Blick, Beratungen und Begleitungen in mehreren Sprachen anbieten, erhalten wir viele Anfragen und Anerkennung für unsere Arbeit.“ (Jae-Soon Joo-Schauen, agisra e.V., 14. April 2015)

Die Arbeit der Migrantinnenorganisationen mit geflüchteten Frauen ist vielfältig. Sie bieten Informationen, psychosoziale Beratung, Asylberatung, Begleitung, muttersprachliche Beratung und Beratung mit Dolmetscherinnen. Gerade das Ankommen in einer fremden Umgebung ohne Sprachkenntnisse bereitet vielen geflüchteten Frauen Schwierigkeiten. Die ersten Hürden erleben die Frauen bei der ersten Anhörung im Rahmen ihres Asylantrags. Anhand der Ergebnisse dieser Anhörung, die zumeist wenige Tage nach der Ankunft in Deutschland stattfindet, entscheidet das BAMF, wer in Deutschland Asyl bekommt und wer nicht.

„Die Frauen werden nicht ausreichend über das Asylverfahren informiert.“

Einige Faktoren bewertet das Bundesamt als Ausschlusskriterium für die Anerkennung des Asylantrags, wie beispielsweise die Einreise nach Deutschland über einen „sicheren Drittstaat“ nach der sogenannten Dublin-III-Verordnung. Ein Ausschluss aus dem Asylverfahren kann aber auch derjenigen drohen, die – nach den Kriterien des BAMFs – ihre Verfolgung und ihre Fluchtgründe nicht ausreichend darlegen konnten. In den Migrantinnenorganisationen sieht man diesen Aspekt kritisch:

„Beim ersten Beratungsgespräch für die Vorbereitung des Interviews mit der Behörde für die Regierung von Oberbayern, wo ganz strikte Interviews gemacht werden, versuchen wir, Frauen zu ermutigen, dass sie die Wahrheit sagen; vor allem wenn sie sexuelle oder andere Torturen in ihren Herkunftsländern oder unterwegs erlebt haben. […] Das ist für uns wichtig herauszufinden, denn nur wenn wir wissen, welche Probleme – seelische und traumatische – Frauen haben, können wir ihnen und ihren Kindern helfen. Das ist der erste Schritt, den wir versuchen zu gehen, denn die Frauen sind erschrocken, man muss ihr Vertrauen gewinnen, das ist eine sehr wichtige Arbeit.“ (Klepo, Hilfe von Mensch zu Mensch e.V.)

Bei der Asylanhörung spielen Dolmetscher_innen eine wichtige Rolle. Die Sensibilität der Dolmetscher_innen für die sprachliche, kulturelle und psychische Situation der Frauen können letztendlich entscheidende Auswirkungen auf den Asylantrag haben.

„Also in vielerlei Hinsicht sind die Sprachprobleme sehr groß und die Dolmetscher_innen bei der Anhörung sind nicht unbedingt gut sensibilisiert für die frauenspezifische Problematik. Die Frauen werden auch nicht ausreichend über das Asylverfahren informiert. Sie wissen nicht genau, wie wichtig ihre Aussage bei dieser Anhörung ist. Verspätetes Vorbringen von zum Beispiel Vergewaltigung wird häufig als nicht glaubhaft betrachtet. […] Wir beraten die Frauen und geben ihnen Informationen, um das Asylverfahren für die Frauen verständlich und transparent zu machen.“ (Joo-Schauen, agisra e.V.)

Gerade in den Ausführungen über die Fluchtgründe der Frauen, in denen es um intime und auch traumatische Erlebnisse geht, ist eine derartige Form der Anhörung für die Frauen belastend:

„Viele haben gesundheitliche Probleme, manche sind traumatisiert. Sie können sich gar nicht äußern, was ihnen wirklich fehlt oder was sie brauchen. Wenn die Frauen aus ihren Herkunftsländern fliehen müssen, weil ihnen frauenspezifische Vorschriften diktieren, wie sie zu leben haben, dann müssten sie einen Schutz vor Verfolgung erhalten. […] Also, die Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe muss in der Praxis leichter umgesetzt werden als jetzt, das ist für viele Flüchtlingsfrauen existenziell.“ (Joo-Schauen, agisra e.V.)

Nach ihrer Ankunft in Deutschland berichten geflüchtete Frauen von vielschichtigen Problemen. Virginia Wangare-Greiner ist Koordinatorin und Geschäftsführerin von Maisha e.V. – Afrikanische Frauen in Deutschland, ein gemeinnütziger eingetragener Verein für afrikanische Frauen in Frankfurt. Auch sie bieten Begleitungen, muttersprachliche Beratung, Integrationsorientierung und regelmäßige Frauentreffs unter anderem für geflüchtete Frauen an. Sie stellt folgende Probleme der Frauen dar:

„Die Frauen leben in Einsamkeit. Ihre schlechte Wohnsituation und die Ungewissheit, wie es weiter geht, erschwert ihre Situation zusätzlich. Hinzu kommen Sprachbarrieren in Deutschland, die die Integration der Frauen in die Mehrheitsgesellschaft erschwert. Es fehlt der Zugang zu medizinischer Versorgung und therapeutischen Einrichtungen. Gerade diese Frauen brauchen medizinische und psychosoziale Betreuung, da viele traumatisiert sind. Auf ihren beschwerlichen und gefährlichen Migrationswegen nach Deutschland haben manche Frauen gerade so überlebt und Freunde verloren.“ (Virginia Wangare-Greiner, Maisha e.V., 14. April 2015)

Frau Wangare-Greiner sieht ihre Arbeit und das Engagement für Flüchtlinge durch Migrant_innenselbstorganisation sehr kritisch. Sie erkennt kaum Vorteile für MSO in der Flüchtlingsarbeit tätig zu werden und kritisiert, dass das Engagement überwiegend ehrenamtlich und aus diesem Grund nicht auf Dauer möglich ist; hierzu fehle es ihnen an Kapazitäten.

DaMigra fordert daher:

● Gleiche Rechte für alle Flüchtlinge, unabhängig ihrer Herkunftsländer
● Die Anerkennung des Potenzials von neuankommenden Flüchtlingen für die deutsche Gesellschaft
● Geschlechtsspezifische und familiengerechte Unterbringung von allein reisenden Flüchtlingsfrauen und ihren Familien
● Die Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe muss in der Praxis umgesetzt werden
● Die Bereitstellung einer bundesweiten Krankenversicherungskarte für alle Flüchtlinge
● Die Einbindung von qualifizierten Dolmetscherinnen, Kultur- und Sprachmittlerinnen sowie Sozialarbeiterinnen mit spezifischen Sprachkenntnissen in die Arbeit mit Flüchtlingsfrauen
● Die Einbindung von Migrantinnenselbstorganisationen in die Konzeption der deutschen Asyl- und Flüchtlingspolitik
● Die Stärkung ihres Engagements durch gezielte Finanzierungsmöglichkeiten

Quelle: http://www.damigra.de

DaMigra ist ein Dachverband der Migrantinnenorganisationen, der als bundesweiter, herkunftsunabhängiger und frauenspezifischer Dachverband von Selbstorganisationen der Migrantinnen agiert. 

 

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