Rückblick auf das Jahr 2020 – Was war, was bleibt, was kommt

 

Ceyda Tutan

Sicherlich wird das Jahr 2020 als das Corona – Jahr uns allen in Erinnerung bleiben, als ein ungewöhnliches, zum Teil beängstigendes, anstrengendes und kraftraubendes, ungewisses und ermüdendes Jahr. Aber es war auch ein Jahr von Zusammenhalt, Solidarität, Menschlichkeit und Hoffnung. Ein Jahr in dem wir wiederholt verstanden und gespürt haben, wie wichtig unsere Frauensolidarität ist, wie sie uns stärkt und uns gegenseitig Kraft gibt und dass wir zusammenstehen müssen, um unsere Ziele zu erreichen. 

Es war ein Jahr, dass uns nochmal deutlich vor Augen geführt hat, dass unsere Forderungen und unser unermüdlicher Einsatz wichtiger denn je sind. Denn die Corona – Krise wirkt wie ein Brennglas für die gesellschaftlichen und politischen Missstände auf die wir schon seit Jahren hinweisen und für deren Behebung kämpfen. 

Mit der Pandemie haben die Defizite in Bezug auf das soziale Ungleichgewicht zugenommen und somit die politischen Probleme verschärft. In dieser Zeit hat die Corona – Pandemie die Kluft von Arm und Reich vergrößert. Die Reichen sind reicher und die Armen zahlreicher geworden. Sozial Benachteiligte und Menschen mit niedrigem Einkommen treffen die Folgen der Pandemie härter. Vor allem Unternehmen wie Daimler, MAN VW nutzen die Situation aus, um tausenden Menschen zu kündigen. Einige demokratische Grundrechte wurden eingeschränkt, was Verschwörungstheorien auslöste und einen guten Nährboden für reaktionäre Kräfte bot.

Die Pandemie deckte auch die Schwachstellen im Gesundheitssystem auf; den Zustand der Krankenhäuser, das fehlende Personal usw. Auch wenn in Deutschland weniger Menschen durch das Corona – Virus sterben, so wurde der Einsatz des Militärs legitimiert. 

Vor allem aber, werden wir die Schulden dieser kommenden Zeit bezahlen und nach der Pandemie mit einer schwierigen Zeit rechnen müssen. 

Im Gegenzug nahmen trotz der Einschränkungen fast 500.000 Beschäftigte des öffentlichen Sektors an Demonstrationen und Warnstreiks teil und kämpften für einen besseren Tarifvertrag. Die Polizeigewalt nahm zu. Mit der Ermordung von George Floyd gingen zehntausende Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt auf die Straßen. Tausende Frauen protestierten gegen Gewalt an Frauen und forderten die konsequente Umsetzung der Istanbul Konvention.  In mehr als 80 Städten haben Menschen gegen die Erhöhung der Rüstungsausgaben demonstriert und auch die Fridays For Future Bewegung geht weiter.

Als wir im März viele unserer Veranstaltungen zum internationalen Frauentag absagen mussten, ahnten wir nicht was uns noch bevorstand. Erste Ratlosigkeit wandelte sich jedoch schnell in kreative Lösungen um, und mit dem ersten Lockdown haben wir dennoch mit vielen Aktionen unsere Forderungen und unsere Solidarität nach außen getragen. Sei es mit kurzen Filmen gegen Gewalt an Frauen oder Fotoaktionen mit Forderungen zum ersten Mai, wo wir uns mit dem Krankenhauspersonal solidarisierten und auf die schlechten Arbeitsbedingungen der systemrelevanten Berufe aufmerksam machten, die zu zwei Dritteln von Frauen ausgeübt werden.

Wo es möglich war, sind wir mit Mundschutz und nötigem Abstand trotzdem auf die Straßen gegangen und haben noch lauter unsere Forderungen kundgetan. Denn gerade in dieser Zeit sind die Missstände, schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Gewalt gegen Frauen und Kinder noch deutlicher zum Vorschein gekommen

Zwar mussten wir körperlich Abstand halten, aber eine soziale Distanz kam für uns nicht in Frage. Anfangs etwas zurückhaltend aber mit immer mehr Übung haben wir unsere Veranstaltungen online durchgeführt. Viele Themen haben uns beschäftigt und wir mussten die Hürden der Technik überwinden, aber es ist uns gelungen, bundesweit und in vielen Städten unzählige online Veranstaltungen durchzuführen. 

Natürlich war dies auch eine organisatorische Herausforderung, in einer Zeit wo die Frauen wieder einmal alles managen mussten und eine große Belastung auf ihren Schultern lag. Eine Zeit, in der die Frauen sich um den Haushalt, die Kinder, das Essen, das Homeschooling der Kinder kümmern mussten und auch noch ganz „normal“ zur Arbeit gingen oder zum Homeoffice verdammt waren. Unter all diesen Umständen haben wir es trotzdem geschafft zusammen zu kommen und es war wichtiger denn je.

So haben die Frauengruppen Literaturveranstaltungen durchgeführt und über Bücher diskutiert oder Veranstaltungen mit Psychologinnen gemacht und über die Auswirkungen und Belastungen der Corona – Pandemie gesprochen. In der Schreibwerkstatt konnten die Frauen lernen, sich mitzuteilen und sie haben Briefe an ihre Schwestern geschrieben.

Uns zu sehen und miteinander zu sprechen hat uns Kraft gegeben, über die Ländergrenzen hinaus. Auch mit internationalen Veranstaltungen haben wir über die Auswirkungen der Corona Pandemie diskutiert und festgestellt, dass alle Frauen ähnliche Situationen erleben und welche immense Bedeutung gerade derzeit auch die internationale Solidarität der Frauen hat. 

Abgesehen von der psychischen Belastung in dieser Zeit, stieg die Zahl der Gewalt gegen Frauen und Kinder. Auch wenn es belastend war, so haben wir viele wichtige Veranstaltungen zu diesem Thema dieses Jahr durchgeführt. Insbesondere die Forderung der konsequenten und vorbehaltlosen Umsetzung der Istanbul – Konvention wurde bei allen Veranstaltungen nochmals dick unterstrichen.

Vieles konnten wir dieses Jahr leider auch nicht verwirklichen. Da war zum Beispiel der geplante Kongress. Wie gut hätte es uns allen und der Arbeit getan, wenn wir diesen Kongress durchgeführt hätten. Gestärkt, mit neuen Ideen und Elan hätten wir tatkräftig an die Arbeit gehen und uns den Herausforderungen stellen können. Geplante Theateraufführungen konnte auch nicht umgesetzt werden, Treffen mit Frauen und Veranstaltungen mit Autoren fielen alle ins Wasser, denn nach dem Sommer kamen wieder einschränkende Maßnahmen, die es uns unmöglich machten zusammen zu kommen.

Aber wir haben uns auch von dem zweiten Lockdown nicht unterkriegen lassen. Wir halten weiter an unseren Möglichkeiten fest um die Frauen zu erreichen. Und auch zum Jahresende hin sind wir immer noch aktiv unterwegs und versuchen nun durch die begonnene Spendenkampagne die Frauen dazu zu motivieren, sich bei uns zu engagieren, uns zu unterstützen und ein Teil von uns zu werden.

Denn eines hat uns diese verflixte Jahr 2020 deutlich gezeigt: Gut, dass es uns gibt, gut dass wir uns kennen, gut dass wir zusammenhalten und uns gemeinsam für unsere Überzeugungen und für die Rechte der Frauen einsetzen. Denn nur gemeinsam können wir es schaffen gegen die Ungerechtigkeiten und für ein gleichberechtigtes Leben zu kämpfen, nur gemeinsam können wir es schaffen in Freiheit und selbstbestimmt zu leben! 

Das Jahr 2021 wird ungewiss, aber eines ist zweifellos: wir werden noch gestärkter als zuvor uns dieser Herausforderung stellen. Also krempelt die Ärmel hoch und lasst es uns angehen. 

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