Jetzt sehen große Menschenmassen, welchen Wert wir haben 

In vielen Krankenhäusern spricht man derzeit von einer nie dagewesenen Herausforderung.  Die Krankenhäuser bereiten sich unter Hochdruck auf eine Vielzahl von schwer kranken Corona-Patienten vor. In einem Interview mit einer Krankenschwester aus dem Ulmer Bundeswehr Krankenhaus sprechen wir über die Corona – Pandemie, die Ausstattung und Vorkehrungen der Krankenhäuser und die Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen. 

Ceyda Tutan: Kannst du dich bitte kurz vorstellen, wer du bist, wo und als was du arbeitest, was ist dein Arbeitsbereich. 

 Snježana Lukšić: Ich bin Snježana Lukšić, seit September 1992 examinierte Krankenschwester. Ich arbeite im Bundeswehr Krankenhaus Ulm, in einer allgemein chirurgischen Ambulanz. Wir organisieren vor allem, was mit der Vorbereitung eines operativ-stationären Aufenthaltes zusammenhängt.

 Deutsche Krankenhäuser müssen sich in den kommenden Wochen wahrscheinlich auf einen Ansturm von Covid-19-Patienten einstellen. Betten und Beatmungsgeräte werden organisiert, Pfleger werden umgeschult. Noch herrscht vielerorts trügerische Ruhe. Jede Klinik steht derzeit vor ähnlichen Fragen. Wie stellt sich die Corona-Patientensituation bei euch im Krankenhaus dar? Die Schutzausrüstung bei der Behandlung von Covid-19-Patient*innen besteht laut Empfehlungen des Robert Koch-Instituts aus einem Schutzkittel, Einweghandschuhen, einer dicht anliegenden Atemschutzmaske sowie einer Schutzbrille. Wie gut ist euer Krankenhaus vorbereitet und ausgestattet? Sowohl personell als auch materiell? Seid ihr ausreichend versorgt mit Atemmasken und Schutzkleidung?  

Im Moment ist es noch ruhig. Es wurde eine zweite Isolierstation eröffnet. Wie schon in den Medien berichtet worden ist, kümmert sich die Bundeswehr um zusätzliches Personal (Reservisten, Pflegepersonal, das in den Kasernen untergebracht ist). Unser Krankenhaus ist materiell gut ausgestattet. Leider ist die Personalknappheit seit einigen Jahren auch bei uns angekommen.
Im Moment gibt es noch ausreichend Schutzkleidung. Doch es wird befürchtet, dass nicht ausreichend Nachschub bestellt werden kann. 

Was erwartet euch, wenn die Zahl der Corona-Patienten steigt?  

Es wurde eine Urlaubssperre ausgesprochen; sollte man doch frei bekommen, muss man telefonisch erreichbar sein und innerhalb von 24 Stunden auf dem Arbeitsplatz erscheinen. Schwer zu sagen, was uns erwarten wird. In Italien, Spanien und Frankreich war die Situation auch nicht abschätzbar.

Die Experten rechnen mit einem deutlichen Anstieg von krankenhausbedürftigen Patienten, die mit dem Coronavirus infiziert sind. Gibt es Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten? Werden Vorkehrungen getroffen?

 Das Personal wird durch zusätzliche Hygienefortbildungen informiert und geschult. Abstand halten zum Patienten und die Desinfektionsmaßnahmen noch verstärken, ist sehr wichtig. Einen Tag bevor die Patienten zu uns kommen, halten wir telefonisch Kontakt und Fragen die Corona Checkliste ab. Sollte ein Punkt zutreffen, dürfen sie leider nicht ins Haus. Begleitpersonen dürfen nur in Ausnahmefällen mitkommen. Stationär dürfen nur Tumorpatienten und Notfälle operiert werden. So dass die Intensivbetten für die Corona Patienten frei gehalten werden. Das Personal untereinander muss Abstand halten, bei Besprechungen dürfen nur wenige Mitarbeiter anwesend sein. Am Haupteingang wird jeder stationäre Patient erst einmal ärztlich untersucht.
Azubis dürfen nach Hause zum Lernen, um möglichst wenig Kontakt zu anderen zu haben.

Was bedeutet es euch, wenn Politiker offiziell Dank aussprechen, wenn Menschen von Balkonen kollektiv zum Dank klatschen oder singen

Es hat mit Anstand zu tun, dass man sich wenigstens bedankt, wenn man schon Jahre lang nichts unternommen hat um die Lage des Personals zu verbessern. 

Jetzt kommt die Rechnung, und zwar weltweit, dass in Sozialen – / Frauen-berufen lange gespart worden ist. Das Klatschen ist eine sehr phantasievolle Anerkennung, angefangen auf italienischen Balkonen…Jetzt sehen große Menschenmassen, welchen Wert wir haben.
Wie hat mir vor längerer Zeit ein schwer erkrankter Mann gesagt: Was ihr leistet, kann man mit keinem Geld bezahlen! Er war dankbar, dass das Pflegepersonal ihn unterstützt hat, bei allem, was er sonst selbst ausführen konnte und das nicht mehr nach dem Schlaganfall möglich war. Wir sollten uns alle Gedanken machen, wie man die Situation in der Pflege verbessern kann.

Wie gut ist unser Gesundheitssystem aus deiner Sicht im Kampf gegen das Coronavirus aufgestellt? 

Scheinbar ist das deutsche Gesundheitssystem besser als in den bis jetzt stark vom Corona Virus betroffenen Ländern. Wir werden sehen, welche Folgen die Einsparungen und die daraus folgende Personalknappheit haben werden.
Hoffentlich wird die Politik wach und wir selbst auch. Wir müssen uns gewerkschaftlich organisieren, Druck ausüben. Wir sind eigentlich eine große Berufsgruppe, wir könnten viel erreichen, wenn wir aus der ‘Opferrolle ‘ rauskommen würden. Es kann nicht sein, dass Konzerne an uns und an den eingezahlten Krankenversicherungsbeiträgen verdienen.

Was benötigen du und deine Kollegen deiner Meinung nach jetzt am meisten?  

 Wertschätzung, Respekt, mehr Personal und endlich mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen. 

Zum Schluss eine letzte Frage: Das Coronavirus hat unser Leben auf den Kopf gestellt. In vielen Lebensbereichen sind wir auf unbestimmte Zeit eingeschränkt und wissen noch nicht wie es weitergeht. Wie geht es dir damit, was sind deine persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse?

 Mich beeinflusst dieses Virus so ziemlich in allen Bereichen des täglichen Lebens. Ich könnte lange Seiten schreiben. Es ist vor allem die Ungewissheit, was uns noch erwartet und wie lange das dauern wird. Ich bin sonst ein sehr aktiver Mensch und ich musste runter fahren; vielleicht ist das auch nicht schlecht; mehr Zeit zum Nachdenken um das Leben zu sortieren.
Mein Arbeitsplatz ist sicher, jedoch ist die Angst da, ob meine Liebsten ihren Arbeitsplatz behalten können, ihre Schulden weiter abzahlen können. Und vor allem, dass meine Familie, meine Freunde und Arbeitskollegen nicht schwer erkranken. Am besten, man denkt nicht drüber nach.
Was mich sehr ärgert, dass Wissenschaftler vor einer Pandemie gewarnt haben und die Politik noch wie im Mittelalter agiert. Hauptsache nicht weiterdenken! Wir sind im 21. Jahrhundert und trotzdem so zurückgeblieben.
Worüber ich mir auch Gedanken machewir sind in unseren warmen Wohnungen, die armen Flüchtlinge in diesen schrecklichen Camps hausen unter unmenschlichen Bedingungen. Man kann nichts tun. Es gibt keine wirklichen diplomatischen Versuche die Kriegsparteien an einen Tisch zu bringen. Keine Lösung, keine Sicht auf ein Ende. Vielleicht ist dieses schreckliche Virus auch für etwas gut. Vielleicht kommt die Menschheit zum Nachdenken. 

Liebe Snježana, vielen Dank für das Interview.

, , ,