Ich bin anders krank als du

Rojda Durmaz

Schmerzen in der Brust mit Ausstrahlung in den linken Arm. Viele von uns wissen, dass es sich bei diesen Symptomen, um Anzeichen für einen Herzinfarkt handeln. Was viele von uns vielleicht nicht wissen, ist, dass zwar die meisten Männer, aber nur die Hälfte der Frauen diese Symptome beklagt. Die andere Hälfte äußert bei einem Infarkt ganz andere Symptome, wie beispielsweise Rücken-, Bauchschmerzen, Übelkeit und Müdigkeit. Diese Beschwerden werden von der Patientin, als auch vom Arzt schwer erkannt und falsch interpretiert. Sie sind eher uncharakteristisch und passen nicht ganz ins Bild des Herzinfarkts. Genau dies ist problematisch. Der Patientin entgeht  kostbare Zeit, welche in die Therapie eingesetzt werden könnte. Diese verspätete Diagnose entsteht dadurch, dass Kenntnisse bezüglich geschlechtsspezifischer Unterschiede in der Medizin oftmals fehlen. Nicht zu vergessen ist aber auch, dass man die Frau nicht immer ernst nimmt. Und davon ausgeht, dass sie mit ihren Schmerzen übertreibt und es in Wahrheit gar nicht so schlimm sei. In der Medizin, sowie in unserer Gesellschaft gehen wir davon aus, dass der Herzinfarkt, als eine Männerkrankheit zu verstehen ist. Jedoch hat man festgestellt, dass immer häufiger Frauen an Herzproblemen leiden, welche oftmals auch stressbedingt sind. 

Es ist allgemein bekannt, dass es biologische Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt. Allein äußerlich stellen wir viele dieser Unterschiede fest. Sobald wir in das Innere des Körpers schauen, erkennen wir noch viele weitere Unterschiede, wie beispielsweise die Sexualhormone Testosteron und Östrogen, die unterschiedliche Aufgabenbereiche haben. Daraus schließen wir, dass Mann und Frau anders krank werden. Jedoch sind nicht nur biologische Aspekte (Gene, Geschlechtschromosomen, Hormone, etc.) für diese Unterschiede zuständig, sondern auch psychosoziale Aspekte (Geschlechterrolle, Einkommen, Umfeld, etc.). Diese beiden Bereiche beeinflussen Prävention, Diagnose, Prognose und Therapie und müssen somit von der Medizin berücksichtigt werden. 

Die Gender Medizin ist ein Bereich der Humanmedizin, der den Einfluss von biologischem (eng. Sex) und psychosozialem Geschlecht (eng. Gender) berücksichtigt, um somit eine optimale medizinische Versorgung aller Geschlechter zu ermöglichen. 

Führen wir uns das Beispiel des Herzinfarktes wieder vor Augen. Bei einem Mann und einer Frau wurde ein Herzinfarkt festgestellt, für die Therapie wird beiden das Medikament Digoxin verschrieben. Dieses Medikament sei sehr wirkungsvoll und stärke das Herz des Patienten, aber eben nur des Mannes. Für die Frau kann dieser Wirkstoff sehr gefährlich werden. Frauen mit Einnahme des Medikaments starben viel früher, als andere erkrankte Frauen, die kein Medikament einnahmen. Die umfassende Studie bezüglich des Medikamentes wurde in den 1990er Jahren durchgeführt und man hatte berichtet, dass jenes Medikament gut gegen Herzschwäche wirke. Die gleiche Studie musste bei einer neuen Analyse, rund fünf Jahre später, ihr Urteil zurücknehmen, diesmal wurde das Geschlecht berücksichtigt und man hat festgestellt, dass dieses Medikament nicht für Frauen geeignet sei, da es die Sterberate erhöhe. Geschlechter bedingte Unterschiede auf die Wirkung von Medikamenten gibt es relativ häufig. Die Gründe dafür sind zum Teil bekannt, Arzneimittel werden von Frauen anders aufgenommen, sie (inter)agieren mit Sexualhormonen. Außerdem haben Frauen mit mehr Nebenwirkungen zu kämpfen und sind oftmals einer Überdosierung ausgesetzt. Zumal sie durchschnittlich kleiner sind und weniger wiegen als Männer. Stellt euch vor, einer lungenkranken Frau wird die gleiche Dosis eines Medikamentes gegeben, wie einem lungenkranken Mann. Sie hat aber ein Lungenvolumen von vier Litern, während der Mann ein Lungenvolumen von sechs Litern hat. So kann eine Überdosierung des Medikamentes vorliegen, welche zu weiteren Nebenwirkungen führen kann.

Umwelteinflüsse machen uns unterschiedlich krank 

Nicht zu vergessen ist aber auch, dass die Umwelt geschlechtsspezifisch wirkt. Stress und Zigarettenrauch werden von den Genen anders aufgenommen und verpackt. 

Wir sehen beispielsweise, dass die Frau in unserer Gesellschaft immer mehr Stress ausgesetzt ist. In vielen Fällen nehmen Frauen die stereotypische Rolle des weiblichen Geschlechts ein. Der Haushalt und die Kindererziehung werden weiterhin als Aufgabe der Frau gesehen. Auch wenn die Frau arbeiten geht, muss sie meistens auch dann den Haushalt und die Erziehung stemmen. Dieser enorme Stress führt zu Krankheiten, wie eben dem stressbedingten Herzinfarkt.

Auch das Risiko für Lungenkrebs bei Frauen ist in den letzten Jahrzehnten, durch den Anstieg von Rauchern, erhöht, da Tabak bei Frauen viel stärkere Folgen, als bei Männern, hat. Trotzdem werden Studien und Untersuchungen zur Entwicklung von Medikamenten größtenteils an Männern durchgeführt. Hierdurch werden weibliche Stoffwechselprozesse und der Menstruationszyklus kaum berücksichtigt. Auch in klinischen Studien finden wir dieses Phänomen. Die Digoxin-Studie wurde überwiegend an Männern getestet und somit hat man die gewaltigen Effekte für die Frau übersehen. Im Durchschnitt sind nur 33,5 % der Probanden Frauen. 

Auch der Mann wird durch eine geschlechtsunspezifische Medizin benachteiligt. So gelten Depression und Knochenschwund in der Medizin als Frauenkrankheiten. Was auch in diesen Fällen zu einer verspäteten Diagnose bei Männern und nicht wirksamer Medikation führen kann. Männer erkranken viel häufiger an Krebs, als Frauen. So können sie auch an der als typisch geltenden Frauenkrankheit Brustkrebs erkranken. Dieses Zuschreiben der Krankheit, auf ein bestimmtes Geschlecht führt dazu, dass diese Tumorform bei Männern relativ spät entdeckt wird und somit die Heilungschancen beeinträchtigt. Wir müssen hier erkennen, dass Gender Medizin keine Frauenmedizin ist, sondern versucht die biologischen und psychosozialen Unterschiede zwischen Mann und Frau zu erkennen, um ihren Einfluss auf Erkrankung und Behandlung verstehen zu können. Ihr Ziel ist es durch diesen geschlechtsspezifischen Ansatz Mann und Frau besser behandeln zu können. Wichtig für die Gender Medizin ist es ihre Ergebnisse innerhalb der jeweiligen Gesellschaft neu zu bewerten, da sich soziale Normen, Kultur und Lebensbedingungen stets verändern.

Quelle: Junge Stimme, https://didf-jugend.de

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