Ganz unten – im Heute

Reinigungskräfte im St.-Anna-Krankenhaus in Duisburg

20160405_152711Die deutsch-türkische Zeitung „Yeni Hayat / Neues Leben“ hat bereits einige Male über die Arbeiterinnen der „Malta Clean & Service GmbH“ (MCS) berichtet, die im Malteser St.-Anna-Krankenhaus auf menschenunwürdige Weise als Reinigungskräfte in den Operationsräumen beschäftigt werden. Mit Unterstützung von Mahir Sahin, dem zuständigen Sekretär der „Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt“ (IG BAU), konnten wir uns mit den Betroffenen treffen und Informationen aus erster Hand bekommen.

Ich habe nichts zu verlieren

Svetla Asenova ist erst 22 Jahre alt und seit zwei Jahren in Deutschland. Seit 16 Monaten arbeitet sie für die Reinigungsfirma MCS. „Ich habe einen Arbeitsvertrag“, sagt sie, „aber was für einen. Vertraglich bin ich nur in Teilzeit beschäftigt, aber tatsächlich arbeite ich mindestens 20-30 Stunden in der Woche. Bezahlt werde ich aber nur für 10 Stunden. Ich spreche kein Deutsch. Von meinen Rechten habe ich keine Ahnung und kenne außer meinen zwei Vorarbeiterinnen, die aus der Türkei und Moldawien kommen, auch niemand anderen.“ Obwohl Svetlas Arbeitsvertrag noch offiziell läuft, wird Sie nicht mehr zur Arbeit gerufen.

Laut Svetla arbeiten diese beiden Vorarbeiterinnen wie eine Mafia. Zum Beispiel rufen sie einen zur Arbeit, aber auf dem Weg zum Krankenhaus wird ihr telefonisch mitgeteilt, sie solle an eine andere, ihr unbekannte Adresse kommen. Eine der Vorarbeiterin bringt sie dort heimlich ins Gebäude. „Offensichtlich hat die Vorarbeiterin in diesem Gebäude einen Nebenjob.“ Ohne auch nur einen Cent von dem Geld zu sehen, dass die Vorarbeiterin mit ihrem Nebenjob verdient, muss Svetlana doppelt und dreifach für sie arbeiten. „Einmal ist ein Sicherheitsdienst zu mir gekommen und hat mich gefragt, wer ich bin. Ich hatte furchtbare Angst. Dann ist die Vorarbeiterin gekommen und hat mich heimlich raus gebracht. Auf meine Frage, was denn hier vor sich geht, habe ich nicht einmal eine Antwort bekommen.“

Ein anderes Mal wurde sie zu Gartenarbeiten an der Stadtgrenze gerufen und ihr wurde gesagt, sie solle noch Bekannte von ihr mitbringen. Zwei Tage lang haben sie und ihre Bekannte in dem Garten gearbeitet, ohne einen zusätzlichen Verdienst dafür zu bekommen. Ihr wurde gesagt, die Arbeit von ihr und ihren Bekannten sei schon durch den vertraglichen Lohn für die Arbeit im Krankenhaus bezahlt. „Wir sind doch keine Sklaven!“, sagt Svetlana. Das habe ihr die Kraft gegeben, in die Gewerkschaft einzutreten. „Jetzt habe ich ohnehin nichts mehr zu verlieren!“ sagt sie und ist entschlossen zu kämpfen. Zur Abtreibung gezwungen Şenay hat am meisten zu erzählen. Wo soll sie anfangen? Die Ausbeutung? Dass sie zur Abtreibung gezwungen wurde? Ihre psychischen und familiären Probleme? Oder dass zwei ihrer Kinder noch in Bulgarien sind, womit die Vorarbeiterinnen sie unter Druck setzen?

Şenay Hasan-Hüseyinova ist 24 Jahre alt. Nachdem sie zunächst drei Monate schwarz gearbeitet hatte, fing sie am 2. Februar 2015 mit einem 14-Stunden-Vertrag im St. Anna als Reinigungskraft an. Ihre Ansprechpartnerin in der Reinigungsfirma war eine Vorarbeiterin aus Moldawien. Zunächst wird ihr gesagt, sie würde für 4,5 Stunden bezahlt – egal wie lang sie für die Arbeit brauche. Normalerweise wurde von 16 bis 20:30 Uhr gearbeitet, aber tatsächlich fing sie meistens um 13:30 oder sogar schon um 13:00 Uhr an. Feierabend hatte sie frühestens um 21:00 Uhr; an Tagen, in denen eine Grundreinigung gemacht werden musste, oft erst um 23:00 Uhr.

Anfang April informiert Şenay ihre Vorarbeiterinnen, dass sie schwanger ist. Die moldawische Vorarbeiterin droht ihr mit Kündigung und einer Vertragsstrafe von 10.000 €: „Du hast gerade erst angefangen zu arbeiten. Dein Vertrag wird aufgehoben. Du wirst deine Kinder nicht nachholen können und dann noch zusätzlich eine Strafe von 10.000€ zahlen müssen.” Daraufhin lässt sie abtreiben und wir vom Arzt natürlich arbeitsunfähig geschrieben. Trotzdem verlangt die Vorarbeiterin, dass sie das Attest persönlich vorbeibringt. Als die moldawische Vorarbeiterin es sieht, zerknüllt sie es und wirft es vor Şenays Augen weg: „Du wirst gefälligst arbeiten” sagt sie. Obwohl sie das auch tut, wird ihr die Zeit als „Urlaub“ angerechnet.

Unsere Gelder wurden unterschlagen

Als sie nach Bulgarien reist, um ihre Kinder zu holen, kommt sie etwas verspätet zurück. Mit diesem Joker in der Hand und der Lüge, jemand anderes habe die Arbeit von Şenay erledigen müssen, unterschlägt die Vorarbeiterin 650 € von Şenays Gehalt. Dies geht einige Monate so weiter. Obwohl sie sich dann entschließt, die Arbeit zu verlassen, lässt man sie nicht gehen. Şenay: „Erst später habe ich erfahren, dass in Wirklichkeit niemand für mich gearbeitet und die Vorarbeiterin das Geld in die eigene Tasche gesteckt hat.” Als die moldawische Vorarbeiterin in Urlaub ist, wendet sich Şenay an die türkische Vorarbeiterin – mit der Folge, dass nun diese das Geld einsteckte. „Meine Psyche und meine Beziehung zu meinem Ehepartner sind daran kaputt gegangen.“

Doppelt gearbeitet, doch nur einmal bezahlt

Rumyana Konstantinova kennt diese Erfahrungen. Sie ist Mutter von zwei Kindern und 36 Jahre alt. Auch sie begann vor zwei Jahren mit einem Teilzeitvertrag, musste aber bis zu 7 Stunden am Tag arbeiten. Auch sie musste Arbeiten ihrer Vorarbeiterin erledigen, die sich daran bereicherte. Vom ersten Tag an wollte man, dass sie ihren Ehemann mit zur Arbeit nimmt: „Ihr müsst zu zweit arbeiten, um alles zeitig zu schaffen. Wenn ihr die Arbeit nicht erledigt, verliert ihr euren Job.“ Obwohl dann beide arbeiteten, wurde nur eine Person bezahlt. Und ihr Ehemann musste der Vorarbeiterin als Chauffeur dienen. „Ständig rief sie an und wollte tags oder nachts herumkutschiert werden.” Um ihre Arbeit nicht zu verlieren, haben sie alles hingenommen. Als diese Vorfälle an die Öffentlichkeit kamen, wurde Rumyanas Vertrag nicht verlängert. Am 7. April endete ihr Vertrag, aber die Bescheinigung über die Nichtverlängerung für das Arbeitsamt wurde ihr verweigert. Auch sie ist jetzt Gewerkschaftsmitglied und bereit, für ihre Rechte zu kämpfen.

Sie dürfen damit nicht durchkommen

Safiye ist die einzige Türkin in dieser Gruppe. Sie hat im Januar angefangen, dort zu arbeiten. Eine Woche lang musste sie täglich 7,5 Stunden probearbeiten, ohne einen Cent dafür zu kriegen. Anschließend unterschrieb sie einen Arbeitsvertrag mit 10 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit. Ihr war von Anfang an klar, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. „Nicht nur etwas, sondern vieles”, bekräftigt sie ihre Aussage. Nach zwei Monaten war ihr das Ausmaß klar, woraufhin sie mit ihren bulgarischen Kolleginnen zur IG BAU ging, um ihre Situation zu schildern und dagegen anzukämpfen. Daraufhin wurde ihr sofort gekündigt. Sie wurde sogar bedroht: „Misch dich lieber nicht zu sehr ein. Die moldawische Vorarbeiterin kennt Leute, die für 100 € jemanden töten würden!” Aber Safiye, die von ihren jungen bulgarischen Kolleginnen „Mutter“ genannt wird, fürchtet sich nicht. “Es geht nicht nur um die zwei Betrügerinnen. Jeder da drin weiß, was da vor sich geht. Es genügt nicht, lediglich die zwei Vorarbeiterinnen zu entlassen”, sagt Safiye. Gerade deshalb werden sie alle gemeinsam kämpfen. Was sie davon haben? Sie werden Vorbilder für andere Arbeiterinnen und Arbeiter sein. Sie werden den Firmen, die mit solchen Mafiamethoden arbeiten, zeigen, dass damit nicht durchkommen werden. Und sie werden damit ihre eigene Ehre, ihre Mühen und ihre Arbeit verteidigen.

Quelle: Kadin/Frau Nr. 30

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