Die Krise ist eine Chance um solidarisch zusammen zu wachsen

Foto: Claudio Schwarz Purlzbaum

 

Wir haben im Gespräch mit Jana Langer, einer Fachrankenschwester der Universitätsklinik Ulm um eine Bewertung aus ihrer Sicht des vergangenen Jahres gebeten. Wie war das Jahr mit Covid-19? Welche Auswirkungen hatte es auf das Personal? Wie sind sie damit umgegangen? Und was erwartet sie 2021?

Kannst du dich bitte kurz vorstellen. Welchem Beruf gehst du nach, wo arbeitest du? Wo bist du sonst noch organisiert?

Ich bin Jana Langer, eine geborene Ulmerin. Von Beruf bin ich Fachkrankenschwester im OP und im Personalrat der Universitätsklinik in Ulm tätig. Ich versuche mich für die Rechte und Belange der Beschäftigten einzusetzen. Die Probleme sind ganz vielfältig, oftmals sind es gar nicht so großartige rechtliche Geschichten, sondern dass man einfach Gespräche führt und bisschen emotional auch für die Beschäftigten da ist. Ansonsten bin ich auch gewerkschaftlich unterwegs, die Gewerkschaft ist quasi meine Hand womit ich ein bisschen agieren kann, weil ich jetzt schon seit fast zehn Jahren gegen dieses unmenschliche Gesundheitssystem kämpfe. Das sind eigentlich meine Haupthobbys, die ich so betreibe.

Da bleibt nicht mehr viel Freizeit oder?

Man kann sich schon bisschen Freizeit schaffen und das ist auch zwingend notwendig. Bei den Themen braucht man auch dringend Abstand ab und zu. Neben meinen zwei Hunden habe ich ein großes Hobby, ich nähe. Da kann ich wunderbar abschalten. Das ist mir jetzt natürlich auch in der Corona – Krise zu Gute gekommen, da habe ich Mundschutz genäht und mich ein bisschen mit eingebracht für die Pflegeheime und um mich herum. Viele wollten auch einen schönen Mundschutz haben, nicht nur die Papiervariante, da konnte ich viele Wünsche erfüllen, das war eigentlich sehr schön.

Das haben viele Frauen von unseren Vereinen auch gemacht. In verschiedenen Städten haben die Frauen aus Solidarität bunte Masken genäht und diese verteilt, auch an geflüchtete Frauen und Bedürftige.

Das ist bestimmt eine tolle Sache, weil viele kommen auch gar nicht auf die Idee in die Apotheke zu gehen. Eine Zeit lang waren die Masken ja auch unmenschlich teuer, sodass sich viele diese wahrscheinlich auch gar nicht leisten konnten und ich finde es auch einfach eine schöne Geste an den anderen zu denken und zu sagen, schütze dich und ich helfe dir dabei.

Wenn wir uns das Jahr 2020 anschauen, dann ist es natürlich überschattet von der Corona – Pandemie. Derzeit steigen die Zahlen der Infizierten wieder stark an. Wenn du dir das Jahr 2020 rückblickend anschaust, wie bewertest du dieses Jahr, vor allem in deinem Berufsalltag, was hat sich verändert? Was ist evtl. noch deutlicher zum Vorschein gekommen? 

Deutlich zum Vorschein gekommen ist, wie egoistisch die Menschen sind. Gerade in dieser Krise, wo man sehr auf sein Gegenüber achten sollte, ist schon extremst rausgekommen, wie Ich-bezogen eigentlich unsere Gesellschaft ist und das hat mich ziemlich erschreckt.

In Klinikum ist es so, dass ich schon vorher wusste, wo es krankt. Das Gute an dieser Krise ist, dass es jetzt so offen liegt, wo die Probleme sind. Es hat auch insofern was Gutes bewirkt, weil meine Kollegen die vorher ziemlich still waren, alles so bisschen ertragen haben, die das oftmals nicht so gesehen haben wie ich, unheimlich viele revoltiert haben. Sie sind an die Presse gegangen, haben auch mal gesagt: „bis hierhin und nicht weiter“. Ihnen ist bewusst geworden, was ich seit Jahren sage, dass diese Dinge dringendst geändert werden müssen und dafür stehen jetzt auch die Kollegen ein.

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Kannst du darauf näher eingehen, was sich ändern muss?

Ganz einfach gesagt, unser Gesundheitssystem ist auf Profit ausgerichtet und nicht auf den Menschen. Das hat zur Folge, dass alle gesundheitlichen Einrichtungen, der Hausarzt, die Kliniken, die Reha-Einrichtungen oder auch die Pflegeheime einem wirtschaftlichen Zwang unterlegen sind. In sämtlichen Bereichen wurde entweder outgesourct, also Unterfirmen gegründet und damit sogenannte prekäre Arbeitsverhältnisse geschaffen, wo sich viele ausländische Kollegen mittlerweile darin befinden. Und es wurde einfach Personal eingespart – das ist die größte geldliche Variante in den Einrichtungen und da schaut man eben, dass man diese Variante möglichst klein hält. Das hatte zur Folge, dass wir vom Personalstand her, extrem niedrig runtergerechnet wurden. Im Zuge dieses Outsourcings habe ich viele Kollegen verloren. Wir haben gute Kräfte, aber die wechseln täglich. Wir haben keinen festen Ansprechpartner, da baut sich keine Beziehung auf. Wenn wir was brauchen, wissen wir oftmals gar nicht, wie wir die Leute ansprechen sollen, weil wir ihre Namen nicht kennen. Mit „Hey du“ entwickelt sich auch kein kollegiales Verhältnis. Oftmals sprechen sie ganz schlecht Deutsch, sind ganz schlecht eingearbeitet. Das führt immer zu Problemen und macht die Person für Fehler verantwortlich und sucht nicht im System und das führt zu ganz großen Konflikten. Ich bin ziemlich sauer auf unsere Regierung, dass die immer von Integration reden, es aber nicht leben und es der Bevölkerung auch nicht möglich machen.

Wie hat sich die Forderung nach dem 12 Stunden Tag bei euch ausgewirkt? Wie seid ihr im Kollegium damit umgegangen? Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?

Ich war selber von diesen 12 Stunden betroffen, wobei man erklären muss, dass so lange Arbeitszeiten in der Klinik normal sind. Wir haben auch bis zu 24-Stunden Dienste. Das wird nicht als Vollarbeitszeit gewertet. Für den OP ist es z.B. der Bereitschaftsdienst. Die normalen OP-Säle, die tagsüber laufen, haben irgendwann ein Ende und dann muss aber eine OP-Mannschaft da sein, um Notfälle eventuell zu operieren. Und weil nicht immer Arbeit da ist, sparen sich die Kliniken das Geld und dann macht man Bereitschaftsdienst, d.h. man ist vor Ort und kann sich in einem Zimmer aufhalten und bei Bedarf wird man angerufen und muss dann sofort in den OP. Dies wird nicht voll gewertet und nicht voll bezahlt, man ist aber quasi 24 Stunden am Stück in der Klinik. Im Zuge der Änderung des Infektionsschutzgesetzes hat man das Arbeitszeitgesetz für eine Zeit geändert und die Ruhezeiten verkürzt. Und damit waren längere Dienste eben möglich. Der Arbeitsschutz wurde komplett ausgehebelt. Dieses Arbeitszeitgesetz ist aber zum 30.06.2020 ausgelaufen, nur NRW glaube ich, hat es wieder aktiviert. Ich musste trotzdem 12-Stunden Dienste machen, die ich in meinem OP normalerweise nicht habe, also 12 normale Arbeitsstunden und das ist extremst belastend. Alleine die Länge an sich und natürlich ist es notwendig in Bereichen, wo auch entsprechend Arbeit anfällt. Das ist auch körperlich belastend. In der Uniklinik hat man den Ärzten die 12-Stunden Dienste aufgedrückt, ohne die Beteiligung des Personalrats, wir konnten noch nicht mal irgendwelche Konditionen aushandeln. Die reine Arbeitszeit auf einer COVID Station ist natürlich nochmal doppelte Anstrengung, weil man dort in dieser Schutzkleidung ist. Wenn man unter diesem Vollschutz arbeitet, hat man ein eingeengtes Sichtfeld, es ist heiß, man kann sich nicht so schnell ausziehen. Auch das muss geübt werden mit dem Ausziehen, dass man sich nicht selber infiziert. Wenn die Konzentration nachlässt, kann man sich natürlich auch vorstellen, dass da Fehler passieren. In der Zeit war das gesamte Familienleben lahmgelegt, das ganze drumherum. Das war wirklich Höchstleistung was die Leute da geleistet haben. 

Es gab das solidarische Klatschen der Bevölkerung für eure Leistung in diesem Jahr. Das alleine reicht natürlich nicht aus um fehlendes Personal und die Folgen der jahrelangen Sparpolitik im Gesundheitssystem zu begleichen.  Wie bewertest du den Corona – Pflegebonus für die Beschäftigten? War das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein?

Die Menschen hatten die dramatischen Bilder von Bergamo in Norditalien im Kopf. Und jetzt hatte natürlich auch jeder Angst. Keiner kannte das Virus und die Auswirkungen. Und sie haben natürlich gemerkt, wie wichtig „Systemrelevante“ sind, diejenigen die den Laden am Laufen gehalten haben. Die Leute konnten noch Einkaufen, die hatten genug zu Essen und im Rücken standen die Ärzte und die Pflegemannschaft, um im Falle eines Falles zu helfen. Man hat aus einem Impuls heraus geklatscht, man hat sich gut gefühlt, man hat ja was getan und damit wars das aber auch. Und dann standen wir da und die erste Welle ging schadlos an uns vorüber. In fast keiner Stadt waren nur annähernd solche Szenarien, wie wir sie von Italien im Kopf hatten und dann hat jeder gedacht, war ja nur eine Grippe.  Jeder war froh, dass er nur geklatscht hat und nicht ein Euro aus der Tasche gezogen hat. Diese Sorglosigkeit hat die Politik natürlich noch gefüttert, indem sie das Reisen erlaubt, zwar auf den Mundschutz und den Abstand verwiesen, aber sonst die Situation verharmlost hat. Aber es war im Sommer schon klar, dass es im Herbst explodieren wird, dennoch hat keiner was gemacht. Und die Sorglosigkeit, die ist noch weiter gefüttert worden. Wenn man sich die ganze Anti-Corona – Maßnahmen Demos mal vor Augen hält. Dass die Richter das überhaupt gestatten haben, ist eine riesige Frechheit. Also da hätte bereits die Politik einschreiten müssen. Hier in den Kliniken hat die zweite Welle dramatische Ausmaße und trifft auch Kollegen, die infiziert waren und richtig heftige Spätfolgen haben, aber ein Elektivprogramm wird nicht runtergefahren, wir arbeiten immer noch wie vorher. Im Frühjahr ist man komplett runtergefahren, da sind wir ja überall in der Klinik verteilt worden, haben geguckt, dass wir die Kollegen auf der Intensiv unterstützen. 

Der erste Pflegebonus war rein für die stationäre Altenpflege, aber nicht für die Betreuungskräfte in den prekären Arbeitsverhältnissen, die eigentlich ein hohes Maß an Arbeit leisten, die haben nichts gekriegt, haben aber mitgearbeitet. Und auch Pflegekräfte, die gar nicht mehr am Patienten arbeiten, haben trotzdem 1500 Euro gekriegt, obwohl die nicht einmal einen COVID infizierten Bewohner gesehen haben, geschweige denn wissen, wie man den Schutzanzug anzieht. Einrichtungsleiter meine ich damit. Die haben diese 1500 Euro auch gekriegt. Alle medizinischen Berufe in den Kliniken haben nichts gekriegt. Das hat man jetzt nachgeschoben. Da hat man beim Infektionsschutzgesetz nochmal ein Passus rein, der am Anfang so war, dass nur die Pflegekräfte was hätten kriegen sollen, das war die erste Frechheit. Dem hat man einen Nachsatz gemacht, so ist es auch möglich, dass Physiotherapeuten, die ganzen Menschen von den Laboren, dass man die auch miteinbeziehen könnte in diese Prämie. Allerdings bekommt nicht jede Klinik diesen Bonus, sondern nur Kliniken mit einer entsprechenden Größe und mit einer entsprechenden Anzahl der versorgten Patienten bis zu einem Stichtag. Wenn bis zu diesem Stichtag eine bestimmte Anzahl an Patienten nicht abgerechnet wurde, dann bekommen die Kliniken diesen Zuschlag nicht. Die nächste Frechheit ist die Aussage von Herrn Spahn, dass das Geld an die Menschen, die im Gesetz definiert sind, verteilt werden soll und verhandeln soll das der Vorstand des Klinikums im Einvernehmen mit der Arbeitnehmervertretung. Also die Personal- und Betriebsräte und die Mitarbeitervertretungen müssen jetzt quasi eine Liste mit Namen erstellen, wer das Geld kriegen könnte und dürfte und wer nicht. Wird kein Einvernehmen hergestellt, muss die Klinik das Geld zurückgeben. Sollte eine Person dabei sein, die nach dem Gesetz nicht berechtigt ist, muss die Klinik das gesamte Geld zurückzahlen. Viele Kliniken behaupten, das Gesetz sei so geschrieben, dass die Mitarbeiter von den Tochterfirmen, nicht dieses Geld erhalten dürfen, d.h. unsere ganzen Reinigungsfrauen, die während der Corona – Zeit auch in die Zimmer rein sind, den Müll entsorgt haben, direkt auch Kontakt hatten, die bekommen nichts, weil es Tochterfirmen sind. Für Boni bin ich nicht wirklich, das ist eine ungerechte Sache, man soll die Leute anständig bezahlen und zwar alle und das zu guten Bedingungen, mit ordentlichen Arbeitsverträgen und dann braucht man keine Boni verteilen.

Wie zufrieden bist du mit der Einigung bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst? 

Ich kann dazu nicht viel sagen, weil ich in einem Haus mit eigenem Tarifvertrag arbeite. Die vier Universitätskliniken von Baden – Württemberg haben gemeinsam einen Tarifvertrag, der noch immer über dem Abschluss des Tarifes im öffentlichen Dienst liegt, auch nach den aktuellen Verhandlungen. Grundsätzlich ist es so, dass die Leistungen die meine Kollegen erbringen, nicht der Bezahlung entspricht. Die leisten viel mehr und es müsste der Gesellschaft viel mehr Wert sein, wenn man Leben rettet. Pflegekräfte haben nicht so die Lobby, dass es in der Gesellschaft so gesehen wird. Es ist so eine Sache, wieviel Rückhalt gibt mir die Bevölkerung in meinem Tun, um wieder etwas Gutes zu erreichen. Ich erreiche das im Grunde für die Leute, die irgendwann auf meine Hilfe angewiesen sind. Das Gute ist, dass das Wort Pflege gerade in aller Munde ist. Jahrelanger Raubbau am Pflegepersonal führte auch zur Hilfe aus dem Ausland. Wir haben unheimlich viele ausländische Mitarbeiter, die meiner Meinung nach nicht gut betreut sind von der Stadt, weil ich glaube, dass auch die Stadt sich mehr um solche Menschen kümmern muss.

Was muss sich aus deiner Sicht im Gesundheitssystem grundsätzlich ändern? Was forderst du von der Politik? 

Über Fallpauschen werden die Diagnosen abgerechnet. Es wird extrem gespart und die Patienten werden relativ früh entlassen, weil man sich dann natürlich Gelder einsparen kann, die man von der Fallpauschale bekommt. Oder man tut viel unnötige Dinge in der Klinik. Das ist eigentlich mein größter Kritikpunkt. Vieles könnte man auch anders lösen. Nicht alle Probleme müssen mit einer OP gelöst werden. Früher hat man versucht eine OP möglichst lange rauszuziehen, was zur Folge hatte, dass jemand, der eventuell Ruhe oder Physiotherapie braucht, aus dem Betrieb ausgefallen ist, und das sind Kosten. Dann sind die Behandlungen beim Physiotherapeuten zusätzliche Kosten. Jemand ist schneller für den Arbeitsmarkt fit, wenn er z.B. eine Knieprothese reingeklöppelt bekommt und es kostet nicht so viel. Das sind so Folgen davon und deshalb ist meine Hauptforderung, dass die Fallpauschalen weg müssen. Ich verstehe nicht warum ein Pflegeheim eine Aktiengesellschaft sein kann. Wie kann man mit Pflege von alten Menschen, die ihren letzten Lebensabschnitt beginnen und eine Heimat eigentlich in diesen Pflegeheimen haben sollen, bis sie sterben, wie kann man damit Geld verdienen. Bei uns ploppen die privaten Pflegeheime von den großen Firmen auf wie sonst was und was die Bevölkerung nicht weiß, es gibt auch Arztpraxen, da ist der Geschäftsinhaber gar kein Arzt, sondern ein Jurist, der sich damit Geld verdient. Ganz viele Zahnarztpraxen sind in einem Verbund und dieser Verbund gehört einem Anwalt, der sich mit dem Leid der Menschen, dass sie sich ihre Zähne richten lassen müssen, Geld verdient. Das ist unfassbar und das weiß die Bevölkerung zum größten Teil nicht. Würde man diesen Anreiz des Fallpauschalen – Systems wegnehmen, wäre es für viele gar nicht mehr attraktiv sich eine Klinik zu kaufen oder ein Heim zu eröffnen.

Was sind deine Wünsche für das Jahr 2021?

Was jetzt so offen dar liegt, dieser Egoismus der Gesellschaft, dass sich dieser verflüchtigt. Ich ertrage es nicht mehr, dass die Menschen so unsolidarisch sind. Man kann so viel Freude daran haben anderen Menschen zu helfen oder einfach nett zu sein. Ich wünsche mir, dass wir als ganze Gesellschaft erkennen, dass die Krise eine Chance ist, um solidarisch zusammen zu wachsen und den Schwächeren zu helfen. Das muss zur Normalität werden.

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