Auf zum Frauenstreik 2019 – für Lohn, Zeit, Respekt!

Christine Flitner,  

Zentralsekretärin VPOD

Am 14. Juni 2019 wollen die Frauen in der Schweiz streiken. Dafür gibt es viele Gründe. Der wichtigste: Es muss bei der Gleichstellung endlich deutlich vorangehen!

Es gibt zahllose Forderungen für den Frauenstreik, fast so viele, wie es Frauen gibt. Sie lassen sich in drei Themen zusammenfassen. Wir wollen mehr Lohn, mehr Zeit und Respekt!

Frauenstreik – am 14. Juni 2019 www.14juni.ch Nationale Frauendemo fuer Lohngleichheit in Bern. (Yoshiko Kusano)

Mehr Lohn – gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit!

Frauen verdienen immer noch deutlich weniger als Männer, je nach Berechnungsart zwischen 12 und 19 Prozent. Im Rentenalter haben Frauen durchschnittlich ca. 37% weniger Geld zur Verfügung. 

Frauen sind im Tieflohnbereich übervertreten und bei den hohen Löhnen massiv untervertreten: 63 Prozent der Stellen mit Löhnen unter 4000 Franken sind von Frauen besetzt, bei den Stellen mit Löhnen über 16’000 Franken sind es bloss noch 18 Prozent. Typische Frauenberufe sind zwar häufig (überlebens)notwendig, gelten aber oft als weniger wertvoll und sind entsprechend schlechter bezahlt. 

Es braucht daher Lohngleichheit, Lohnkontrollen und Sanktionen bei Lohndiskriminierung sowie die Aufwertung von Frauenberufen wie z.B. Pflege- und Betreuungsberufe.

Mehr Zeit – Zeit für Betreuungsaufgaben, Zeit zum Leben. 

Betreuungsaufgaben und Erwerbsarbeit unter einen Hut zu bringen, ist in der Schweiz fast nicht möglich. Deswegen arbeiten viele Frauen Teilzeit. Geringeres Einkommen, schlechtere Renten und Dauerstress sind die Folgen für die Betroffenen. Frauen und Männer arbeiten im Durchschnitt fast gleich viele Stunden pro Woche – mit einem grossen Unterschied: Frauen arbeiten zwei Drittel der Zeit gratis, Männer arbeiten zwei Drittel der Zeit gegen Lohn. 

Wir wollen Elternzeit, Vaterschaftsurlaub, Zeit für pflegende Angehörige und kürzere Arbeitszeiten sowie eine faire Verteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit. 

Respekt und Schutz vor Gewalt und sexueller Belästigung

Frauen wehren sich nicht erst seit #MeToo gegen sexuelle Belästigung, trotzdem wird sie immer noch viel zu oft als «Ausrutscher » angesehen und nicht ernst genommen. Sexuelle Belästigung und Übergriffe sind verletzend und machen krank. Sie sind nicht akzeptabel, weder am Arbeitsplatz noch sonst. Deshalb fordern wir: Null-Toleranz für sexuelle Belästigung und Gewalt – am Arbeitsplatz und in der Öffentlichkeit! Wir fordern Respekt für alle Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihrem Glauben. 

Ein Blick zurück: Der erste Schweizer Frauenstreik

In der Schweiz gab es schon einmal einen Frauenstreik. 1991 hatten viele Frauen genug davon, dass es mit der Gleichstellung einfach nicht voran ging, obwohl es seit 1981 einen Gleichstellungsartikel in der Verfassung gab. Sie riefen zum Streik auf. Die Beteiligung am 14. Juni 1991 war umwerfend – selbst die Organisatorinnen hatten nicht erwartet, dass so viele Frauen ihren Unmut in die Öffentlichkeit tragen würden. In der Folge wurde 1996 das Gleichstellungsgesetz verabschiedet – ein schöner und nützlicher Erfolg, der in der Zwischenzeit einiges bewegt hat.

Heute brauchen wir kein weiteres Gesetz, aber es sind dringend Verbesserungen in vielen Detailfragen nötig – von der Kinderbetreuung bis zur Alterspflege, von den Löhnen bis zu den Renten und Sozialversicherungen.

Streikkomitees in allen Kantonen

In der Zwischenzeit gibt es in allen Kantonen und vielen Städten der Schweiz Streikkomitees und aktive Gruppen, welche den Frauenstreik mit grossem Engagement vorbereiten. Das Interesse ist riesig und geht quer durch alle Altersgruppen – von Schülerinnen bis zu Rentnerinnen. Besonders das grosse Engagement von vielen jungen Frauen ist sehr erfreulich. In den vergangenen 20 Jahren war Gleichstellung fast ausschliesslich ein Thema der älteren Generation über 45 – das hat sich im letzten Jahr gründlich geändert.

Die Organisation des Frauenstreiks ist sehr offen. Jede Gruppe, jede Branche, jedes Streikteam entscheidet selbst, welche Forderungen im Vordergrund stehen und was sie am 14. Juni tun wollen. Das Ziel des Tages ist es, die Arbeit der Frauen und ihre Forderungen sichtbar zu machen. 

Was läuft am 14. Juni?

In der ganzen Schweiz wird es Aktionen, Arbeitsniederlegungen, Protestpausen, Streiks, Demonstrationen, Versammlungen, Flashmobs und vieles mehr geben. Der Frauenstreiktag hat kein festes Programm, sondern jede Gruppe, jede Region, jeder Betrieb, jede Einrichtung entscheidet selbst, was sie macht. Um 11 Uhr soll es in der gesamten Schweiz einen gemeinsamen Moment geben, an dem Aktionen, Flashmobs oder sonstige Proteste laut werden, um 15.30 Uhr soll dann für alle Frauen spätestens Arbeitsschluss sein. Dieser Zeitpunkt gilt, weil Frauen noch immer rund 20% weniger verdienen und sie daher auf einen 8-Stundentag gerechnet ab 15.24 gratis arbeiten.

An vielen Orten wird es am frühen Abend eine Demonstration oder Versammlung geben – es gibt keine nationale Demonstration, sondern Aktivitäten in der ganzen Schweiz. Der 14. Juni soll deutlich zu zeigen, dass Frauen sich mit dem Stand der Dinge nicht länger zufriedengeben und dass es mit der Gleichstellung vorangehen muss. 

Wie können sich Frauen am 14. Juni beteiligen?

Es gibt viele Möglichkeiten, sich zu beteiligen. Für Frauen, die nicht im klassischen Sinn streiken können oder wollen, finden sich viele Aktionsideen auf der Website des VPOD https://vpod.ch/brennpunkte/frauenstreik2019/frauen-streik-aktionsideen/ . Wichtig ist vor allem, dass an diesem Tag sichtbar ist: eine Gesellschaft und eine Arbeitswelt ohne die Arbeit von Frauen ist nicht denkbar. Das lässt sich mit klassischen Protestaktionen wie Bummelstreiks, Sit-ins, Streikversammlungen zeigen, mit Protestpausen, mit Transparenten oder Plakaten am Arbeitsplatz, aber auch mit dem Tragen eines Streikbuttons, mit einer Botschaft auf dem T-Shirt oder violetten Kleidern, Kopftüchern, Schals. Und wer am Arbeitsplatz keine Möglichkeit findet, kann sich den öffentlichen Aktionen anschliessen. An vielen Orten gibt es spätestens am Frühabend einen gemeinsamen Treffpunkt und eine Kundgebung. Details finden sich zur gegebener Zeit auf den Websites der kantonalen Kollektive oder unter www.frauenstreik19.ch.

Und was tun die Männer?

Gleichstellung geht alle an und nützt der ganzen Gesellschaft. Die Vorbereitungskollektive sind Frauen vorbehalten, aber solidarische Männer können den Frauenstreik auf vielfältige Art unterstützen. Sie können Kollegen, Freunde und Verwandte informieren und erklären, wieso es in der Gleichstellung voran gehen muss. Sie können am 14. Juni nach Absprache die Arbeit der Kolleginnen übernehmen, damit diese streiken können. Sie können tatkräftig mithelfen beim Aufbau, Abbau, Demo, Streikbar oder was immer in deiner Region geplant ist – kurzum: sie können dazu beitragen, dass die Frauen am 14. Juni streiken können!

https://frauenstreik2019.ch/de/

Kann das Mitmachen beim Frauenstreik Nachteile nach sich ziehen?

Das Streikrecht ist seit 1999 ausdrücklich in der Bundesverfassung verankert. Streik und Kampfmassnahmen sind unter bestimmten Bedingungen legal – aber natürlich kann es sein, dass einzelne Arbeitgeber Druck und Sanktionen einsetzen wollen. Das ist immer so, wenn Menschen sich für ihre Rechte wehren. Konkrete Aktionen am Arbeitsplatz sollten daher mit der zuständigen Gewerkschaft abgesprochen werden. Die Gewerkschaften bieten ihren Mitgliedern dann auch Rechtsschutz und eventuell auch Lohnersatz bei Lohnkürzungen. 

Aber nur wenn wir uns wehren, können wir Fortschritte erzielen, und nur weil viele Frauen vor uns sich gewehrt haben, wurden Frauenstimmrecht, Gleichheitsgrundsatz in der Bundesverfassung, Gleichstellungsgesetz usw. überhaupt je möglich. 

Quelle: Kadın/Frau No: 37

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