Jedes Problem benötigt Menschen, die den Finger in die Wunde legen

Die Initiative Pinkstinks, die „gegen Produkte, Werbe- und Medieninhalte agiert, die Kindern eine limitierende Geschlechterrolle zuweisen“, musste den Bundesjustizminister Heiko Maas nicht nur überzeugen, dem Bundestag einen Gesetzentwurf zu präsentieren, der Sexismus in Werbung unterbindet, sondern durfte ihn auch beraten. Wir haben uns mit Nils Pickert aus dem Team-Pinkstinks unterhalten.

pinkstinks_logo_lilaSibel Schick

Was macht Pinkstinks Germany e.V.? Wie und wann wurde Ihre Initiative gegründet?

Pinkstinks wurde 2012 von Stevie Schmiedel gegründet. Der öffentliche Raum in Hamburg war zu dem Zeitpunkt wieder einmal vollgehangen mit sexistischer Werbung und selbstoptimierender Normschönheitszwänge auf Germany’s Next Top Model Plakaten. Einem Leserinnenbrief und einem Interview in der ZEIT folgten viele Mails, Briefe und Anrufe, die fanden, dass die von Stevie geforderte Organisation, die sich um solche Probleme kümmern soll, am besten von ihr selbst gegründet wird. Also zog sie mit der Unterstützung von einigen ehrenamtlichen Helfer*innen den deutschen Ableger von Pinkstinks UK auf und entwickelte ihn weiter.

Mittlerweile arbeiten wir mehrgleisig. Wir machen Theaterarbeit zu Essstörungen und geschlechtergerechtem Verhalten an Schulen. Wir bringen Protest auf die Straße und ins Internet, um auf sexistische Produkte, Werbekampagnen und dergleichen hinzuweisen. Wir machen Lobbyarbeit, um auf dieses Thema hinzuweisen. Wir bloggen wöchentlich zu diesen Themen, um die Leute zu informieren und wir entwickeln Formate, Aktionen und Strategien, um die Geschlechterbilder innerhalb der Gesellschaft vielfältiger zu gestalten.

Nicht nur Wut, sondern auch konkreter Gesetzesvorschlag in der Tasche gehabt

Der Bundesjustizminister Heiko Maas möchte Sexismus in Werbung unterbinden. Was für eine Rolle hat Pinkstinks dabei gespielt?

Die Juristin Dr. Berit Völzmann hat eine Gesetzesnorm zum Verbot der krassesten Formen sexistischer Werbung auf der Grundlage von Diskriminierungsverbot und Gleichberechtigungsgebot entworfen. Anschließend hat sie gemeinsam mit und für Pinkstinks dafür politische Lobbyarbeit betrieben. Im Bundestag, an Parteibasen, bei Vorträgen. Das heißt, wir haben nicht nur Überzeugungs- sondern auch Beratungsarbeit geleistet. Der Vorteil dabei war immer, dass wir einen konkreten Gesetzesvorschlag und eine Implementierungsstrategie in der Tasche hatten – und nicht etwa bloß unsere Wut auf sexistische Werbung. Die ist zwar – gerade im aktivistischen Rahmen – durchaus nachvollziehbar und wichtig, hätte uns aber an dem Punkt nicht weitergebracht.

„Heiko Maas hat niemals behauptet, dass mit einem Verbot sexistischer Werbung Köln hätte verhindert werden können, und wir auch nicht.„

Maas begründet die Entscheidung des Gesetzentwurfs damit, dass Deutschland nach den sexuellen Übergriffen an Silvesterabend in Köln ein modernisiertes Geschlechterbild braucht. Was halten Sie von dieser Aussage? 

Das ist so nicht korrekt. Der Spiegel zitiert Heiko Maas in diesem Zusammenhang nicht, sondern formuliert. Heiko Maas hat niemals behauptet, dass mit einem Verbot sexistischer Werbung Köln hätte verhindert werden können, und wir auch nicht. Richtig ist, dass sowohl Maas als auch Pinkstinks sich hinter die #ausnahmslos Kampagne gestellt haben, die sexualisierte Gewalt ausnahmslos verurteilt und nicht rassistisch vereinnahmt sehen will. Selbstverständlich sind die Übergriffe von Köln zu verurteilen und selbstverständlich gehören die Täter zur Rechenschaft gezogen. Anstatt Menschen darüber hinaus qua Herkunft vorzuverurteilen und in Sippenhaft zu nehmen, macht es Sinn, sich gesellschaftlich an die eigene Nase zu fassen:

Wo findet sexualisierte Gewalt statt und was wird dagegen unternommen? Wieso ist sexuelle Belästigung kein eigener Straftatbestand? Welches Frauenbild transportieren wir in unseren Medien?

Die SPD versucht auf diese Fragen im Rahmen ihrer Möglichkeiten Antworten zu finden. Man mag das im Detail kritisieren, aber wenigstens sieht sie Handlungsbedarf.

Verdinglichung Gegensatz zur Freiheit

Der FPD-Chef Christian Lindner kritisierte Maas und den Gesetzentwurf wie Folgendes: „Seine Pläne zum Verbot von Nacktheit und sexualisierter Werbung sind an Spießigkeit kaum zu überbieten. Die Verhüllung von Frauen zur Bändigung von Männern zu fordern, das kannte man von radikalen islamischen Religionsführern, aber nicht vom deutschen Justizminister.“ Steht Nacktheit für Modernität oder für europäische Werte? Ist die Verdinglichung in Werbung der Gegensatz zur Verhüllung?

 Der FDP Chef Lindner bringt an diesem Punkt wie so viele andere einiges durcheinander: Sex und Sexismus, Nacktheit und die Objektifizierung weiblicher Körper. Nehmen wir einmal an, Nacktheit stünde tatsächlich für Modernität und europäische Werte. Warum ist es dann so übermäßigt die versachlichte Nacktheit von Frauen? Wieso werden Dinge ohne jeden Produktbezug damit beworben, dass man (halb)nackte Frauen wie Dinge als Blickfang daneben stellt? Wie spießig ist das denn bitte?! Weder Nacktheit noch Sex sind problematisch. Einen Saunaaufenthalt mit nackten Menschen zu bewerben, macht Sinn, und einvernehmlicher Sex zwischen erwachsenen Menschen ist eine großartige Sache. Aber Werbung im 21. Jahrhundert sollte sich nicht dadurch auszeichnen, dass auf Frauenkörper die Preise für die Produkte geschrieben werden, die verkauft werden sollen. Wo bleibt da die Freiheit?

160315_1600x1100_Pinkstinks_MedienFlyerSexistisch oder nicht sexistisch? Wer soll entscheiden? Einige Medien zeigten ein Anzeichen der Verwirrung über den Begriff Sexismus (diese wurden am 14.04.2016 von Margarete Stokowski auf Spiegel Online[1] zusammengefasst). Es werden möglicherweise Seminare bei Werbeagenturen benötigt, um den Begriff klarzustellen. Wie muss die Regierung vorgehen, falls das Gesetz vom Bundestag angenommen wird?

Der Werberat in Österreich geht zum Beispiel bei Sexismusvorfällen mit Expert*innen in die (Werbe)firmen und klärt vor Ort auf. Auch das wäre ein gutes Konzept, um dem Problem beizukommen, denn es kann ja letztendlich nicht darum gehen, sinnbefreite Verbote zu erteilen, sondern darum, die Leute zu sensibilisieren.

Gesetzlich lassen sich nur die krassesten Formen sexistischer Werbung verbieten und auch nur, weil Werbung eben nicht so frei wie Meinung sondern speziell reguliert ist. Das muss klar kommuniziert werden. Sexismus als Teil von Meinungs- und Kunstfreiheit wird immer möglich sein, ob uns das nun gefällt oder nicht. Es wird auch nach einer möglichen Implementierung unseres Vorschlags weiterhin sexistische Werbung geben – die dann eben nicht unter die Norm fällt. Ein Verbot ist weder DIE Lösung, noch der Untergang des freiheitlich demokratischen Abendlandes. Es ist einfach nur ein konsequenter Schritt in die richtige Richtung. Und genau so muss es auch beschrieben werden.

Sowohl Berlins Justizsenator Thomas Heilmann, als auch der Präsident des Gesamtverbandes Kommunikationsagenturen Wolf Ingomar Faeck nannten Sexismus in Werbung eine Geschmackssache und dadurch den Gesetzentwurf eine Bevormundung. Dabei handelt es sich bei dem Entwurf darum, die Verdinglichung des menschlichen Körpers und dessen Folgen an der Gesellschaft zu vermeiden. Herr Faeck fügte dazu, dass das Problem in der Realität keine große Bedeutung habe. Warum wird Sexismus in Werbung erst jetzt diskutiert und warum wird er nicht ernst genommen?

Ich wage mal zu behaupten, dass Herr Faeck einen sehr ausgewählten Zugang zur Realität hat. Und das Problem besteht, wie ich bereits erwähnte, nicht zuletzt darin, die Dinge richtig einzuordnen. Sexismus ist nicht Sex. Genauso wenig ist sexualisierte Gewalt Sex, sondern eben eine spezielle Form der Gewalt – da hilft es nicht, wenn Zeitungen von Vergewaltigern als „Sex-Täter“ schreiben. Sexismus ist eine auf das Geschlecht bezogene Diskriminierung, die unsere Gesellschaft nachhaltig formt und unser Miteinander bestimmt. Die eigene Privilegierung so wenig zu hinterfragen, dass die Formen dieser Diskriminierung als Geschmacksfrage abgetan werden, erscheint mit ausgesprochen engstirnig. Für jedes Problem braucht es Menschen, die es benennen und angehen. Von alleine diskutiert sich ein Sachverhalt, der als unproblematisch empfunden wird, nicht. Es braucht Menschen, die den Finger in die Wunde legen.

[1]   http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/sexistische-werbung-kritik-an-maas-ist-falsch-kolumne-a-1087102.html

http://twitter.com/sibelschick

Kadin/ Frau NR.30

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