Hoffnung stirbt zuletzt

Sibel Schick

Schlagstock, Tränengas, Druckwasser; Tritte und Fäuste, verbale, körperliche und sexualisierte Gewalt bei der Festnahme, teilweise sogar Folter und Vergewaltigungen unter Untersuchungshaft. So werden Frauen in der Türkei dafür bestraft, für ihre Grundrechte auf die Straße zu gehen. Trotz dieser Gewalt gehen sie am nächsten Tag wieder raus, obwohl sie wissen, mit welchen Maßnahmen sie zu tun haben werden. Wie geht das?

Wenn wir uns die Menschengeschichte anschauen, sehen wir, dass die Realitäten von heute in der Vergangenheit mal Träume waren. Auch damals standen Skeptiker*innen vor den Träumer*innen und sagten, dass ihre Ideen nicht zu verwirklichen seien. Die, die sich die Hoffnung nicht wegnehmen ließen, und weiter für ihre Träume kämpften sind die, die der heutigen Gesellschaft den Weg öffneten. Genauso werden die Kämpfer*innen von heute die Held*innen von morgen.

Die Situation der Frauen und LGBTIs verschlechtert sich seit 15 Jahren ununterbrochen. Seit dem Putschversuch Juli 2016 wird die Lage dramatischer – seit der Verkündung des Ausnahmezustandes wird das Land mit den Notstandsdekreten regiert. Die Grundrechte der Menschen, die durch internationalen Verträge gesichert sind, wurden außer Kraft gesetzt. Menschen werden teilweise monatelang ohne Klageschrift in Haft gehalten. Die Rechte und Freiheiten, die die Frauen- und die LGBTI-Bewegung jahrelang mühsam erkämpft haben, werden wieder gestrichen. Eins nach dem Anderen. Dennoch geben die Bewegungen nicht auf, denn die Hoffnung stirbt zuletzt.

Wenn sich die Lage in einem Land verschlechtert, was die Menschenrechte anbelangt, wenn Menschenrechtsverletzungen zum Alltag werden, Kriege ausbrechen und die Gewalt auf der Straße zur Norm wird, haben Frauen und LGBTIs am meisten zu verlieren. Dass Frauen in der Türkei inzwischen auch von Wildfremden Männern aufgrund ihrer Kleidung angegriffen werden können, beweist diese Tatsache. Die Erkenntnis, dass sie mehr zu verlieren hätten, führt die Bewegungen dazu, sich besser zu organisieren: Die Frauenbewegung ist die größte, die stärkste und am besten organisierte politische Bewegung in der Türkei. Auch die LGBTI-Bewegung zählt zu den größten.

Der 25. November ist der Internationale Tag der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Er ist wichtig, weil, obwohl schon seit über einem Jahrhundert für die Gleichheit der Geschlechter gekämpft wird, haben Frauen und LGBTIs mit großen Ungleichheiten zu tun. Überall in der Welt. Die Themen der Bewegungen variiert vom Land zu Land, aber nirgends ist bisher die absolute Gleichheit. Und Frauen wissen: Solange die Frauen in Saudi Arabien nicht ohne Erlaubnis eines Mannes das Land verlassen dürfen, ist auch nicht die Freiheit der Frauen in Norwegen gesichert. Solange Käfige existieren, dauert auch die Idee der Gefangenschaft an.

Auch dieses Jahr werden Frauen und LGBTIs auf die Straße gehen und gegen Gewalt gegen Frauen kämpfen. Sie werden die Autoritäten daran erinnern, dass sie nicht verschwinden, dass sie nicht aufgeben. Denn Frauen und LGBTIs wissen, dass sie, im Falle eines Regimewechsels, am meisten zu verlieren haben. Sie wissen, dass sie diejenigen sind, die für ihre Rechte kämpfen müssen.

,