Arbeiterinnen bei Ford Otosan: Wir kämpfen für Gleichheit

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Arbeiterinnen in der Metallbranche sind meistens unsichtbar. Auch wenn ihre Zahl in der Automobil- und Zuliefererindustrie immer mehr steigt, gehören sie zu den Beschäftigten, über deren Sorgen sich die Gewerkschaften kaum Gedanken machen. Vielleicht deshalb stehen sie bei den Arbeitskämpfen, die von Betrieben in Bursa ausgingen und auf andere Städte übergriffen und an deren Ende Massenaustritte aus der Gewerkschaft Türk Metal standen, an vorderster Front. Der Arbeitskampf bei Ford Otosan startete vor zwei Wochen. Die Arbeiterinnen verlassen das Betriebsgelände seither nicht. Die Diskriminierung, die Nicht-Achtung im Betrieb und in der Gewerkschaft standen ihnen bis zum Hals. Sie nahmen einen großen Teil der Aufgaben beim Arbeitskampf auf sich, als wollten sie sagen: „Wir sind auch noch da!“ Auch wenn sie ihre Ehemänner und Kinder zu Hause ließen oder während des Arbeitskampfes nur ein paar Stunden am Tag sehen, verloren sie ihren Glauben an den Sieg ihres Kampfes nie.

„WÄHREND DES ARBEITSKAMPFES MEHR ZEIT MIT SEINEM SOHN VERBRACHT“

Eine Arbeiterin, die seit fünf Jahren bei Ford Otosan arbeitet, erzählt, sie habe sich vor 10 Jahren von ihrem Mann getrennt. Ihren 15-jährigen Sohn betreut gerade die Großmutter und kommt jeden Tag für ein paar Stunden seine Mutter besuchen. Sie arbeitet nach Zwei-Schichten-System. „Als ich gearbeitet habe, konnte ich mit meinem Sohn nicht so viel Zeit verbringen wie jetzt“, erzählt sie. In der Tagesschicht hat sie um 20.00 Uhr Feierabend. Zu Hause ist sie dann erst um 21.00 Uhr, wenn ihr Sohn bereits schläft. Wenn sie Nachtschicht hat, ist er in der Schule. Auch sonntags muss sie bereits um 20.30 Uhr aus dem Haus raus, wenn sie Nachtschicht hat. Der Sohn sagt immer: „Ich sehe meine Mutter nur, wenn sie im Bett liegt.“ Sie versichert: „Hier haben wir wirklich mehr Zeit füreinander.“ Die Arbeiterin sorgt seit Jahren alleine für die Familie und erzählt weiter: „Wie kann ich mit dem Geld, das ich hier verdiene, eine Zukunft für meinen Sohn aufbauen? Ich mache doch nicht freiwillig Überstunden. Ich würde doch auch viel lieber mehr Zeit mit meinem Sohn verbringen. Aber wenn ich keine Überstunden mache, kann ich den Haushalt nicht führen. Sie geben uns 10 Lira pro Kind als Hilfe. Ist das nicht komisch? Aber so sieht es aus. Deshalb müssen wir fast unser ganzes Leben im Betrieb verbringen. Wir kämpfen hier, damit sich das ändert. ”

„WIR HABEN DIE NASE VOLL“

Die Arbeiterin berichtet vom großen Druck, den die Vorgesetzten auf die Arbeiter ausüben: „Wir wollen uns von diesem Druck befreien. Sie erhöhen immer wieder das Tempo des Fließbands. Sie behandeln uns nicht wie Menschen. Von all dem haben wir die Nase voll.“ Sie erzählt, während des Arbeitskampfes seien sich die Arbeiter näher gekommen. Sie hätten ihre Einheit und Solidarität fest verankert. Vor dem Kampf hätten ihre Kollegen bei Schwierigkeiten mit Vorgesetzten versucht, ihre Probleme persönlich zu lösen. Weil sie dadurch keine Lösung erreicht hätten, hätten sie sich dem Druck gebeugt. Sie führt das mit einem Beispiel weiter aus: „Einmal wurde ich während der Nachtschicht gegen 2 Uhr krank. Ich hatte wirklich unerträgliche Schmerzen. Ich ging in die Krankenstation. Sie sagten mir, ich hätte Nierensteine. Als ich am nächsten Morgen ins Krankenhaus ging, stellte sich heraus, dass ich Blinddarmdurchbruch hatte. Ich musste operiert werden und war 38 Tage krankgeschrieben. Als ich zurückkam, hatten sie meinen Platz durch eine andere Kollegin besetzt. Obwohl ich mich noch schonen musste, schickten sie mich an einen schwierigeren Arbeitsplatz.” Die Arbeiterinnen sagen, sie würden beim Arbeitskampf mitmachen, damit sich diese Bedingungen änderten: „Wir wollen nicht diskriminiert werden. Wir wollen nicht, dass die Verwandten von Meistern, Vorgesetzten und Gewerkschaftsführern bevorzugt werden. Wir wollen Vertreterinnen in den Gremien, damit frauenspezisifische Probleme tatsächlich gelöst werden. Wir wollen, dass unsere Forderungen in die Tarifverträge aufgenommen werden. Vor allen wollen wir Gleichheit. Deshalb stehen wir Tag und Nacht, bei Wind und Wetter hier. Wir wissen, dass einige Kolleginnen nicht hier dabei sein können, weil es ihnen ihre Männer, Väter, Brüder verboten haben. Sie rufen uns an. Unseren Kampf führen wir für alle unsere Kolleginnen.“

„SIE HABEN NICHT EINMAL DIE EINFACHSTEN PROBLEME GELÖST“

Eine andere Arbeiterin, die seit sechs Jahren hier arbeitet, erzählt: „Wir haben niemals das Vertrauen gehabt, dass unsere Gewerkschaft unsere Probleme lösen würde. Wir haben nicht einmal das Gefühl gehabt, dass wir eine Gewerkschaft haben. Sie haben nicht einmal die einfachsten Probleme gelöst. Es gibt auch einige wenige Frauen, die als Vertrauensleute eingesetzt werden. Aber sie treten sich nur für ihre Kolleginnen ein, die sie gut kennen. Für uns haben sie nie etwas übrig gehabt.“ Die Arbeiterin erzählt, die Frauen würden die gleiche Arbeit wie ihre männlichen Kollegen verrichten: „Es gibt keine Unterscheidung Männer- oder Frauenarbeit. Ich habe zwei Jahre in einer Abteilung gearbeitet, wo die Arbeit am schwersten ist, wo nicht einmal männliche Kollegen arbeiten wollen. Wir mussten 25 Kilo schwere Teile auf das Fließband heben und montieren. Jetzt leide ich an Bandscheibenvorfall und kann nicht mehr arbeiten.“ Sie berichtet von der willkürlichen Tempoerhöhung beim Fließband. Um mithalten zu können, habe sie auf die 10-minütigen Pausen verzichtet. Sie erzählt weiter: „Obwohl ich es immer wieder angefordert habe, stellten sie mir keine Hilfskraft an die Seite. Meine Mutter ist verstorben, ich lebe jetzt allein. Damals habe ich die Nachhilfe meines Bruders finanzieren können. Aber ich konnte es nicht mehr. Als ich wegen meines Rückenleidens mit Kündigung drohte, wurde ich in eine andere Abteilung versetzt. Bei all dem hat mich die Gewerkschaft nicht unterstützt.” Sie berichtet von zwei Frauenkonferenzen von Türk Metal. Die meisten seien dahin gegangen, um sich von den Strapazen der Arbeit zu erholen. Denn die Konferenzen seien ohne Inhalt gewesen. Sie erzählt: „Zu Wort kamen nur die Führer der Gewerkschaft – allesamt Männer. Die wenigen Kolleginnen, die das Wort erhielten, mussten das vorlesen, was ihre männlichen Vorgesetzten geschrieben hatten. Dort kommt keines unserer Probleme zur Sprache. Es ist nur eine lustige Wochenendreise.“ Bei keiner Tarifverhandlung seien bisher Probleme von Frauen am Arbeitsplatz berücksichtigt worden: „Dank des Einsatzes einer Kollegin zahlt uns der Arbeitgeber mittlerweile Kindergeld. Sie sind gesetzlich verpflichtet, hier eine Kindertagesstätte einzurichten, weil hier fast 500 Kolleginnen arbeiten. Um sich von dieser Verpflichtung zu befreien, zahlen sie uns Kindergeld, was nicht tarifvertraglich ausgehandelt wurde. Also auch das ist nicht eine Errungenschaft der Gewerkschaft.“

Kadin/Frau No: 27

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