Gescheiterte Tarifverhandlungen im Sozial- und Erziehungsdienst

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Ceyda Tutan
Hunderttausende Menschen in sozialen Berufen geben jeden Tag und meist aus vollem Herzen ihr Bestes für Kinder, Jugendliche und teilweise auch Erwachsene.
Sie arbeiten in Kitas, in der offenen Jugendarbeit, in Beratungsstellen, Kinderheimen, Jugendämtern und Einrichtungen der Behindertenhilfe, in der Schulsozialarbeit, in Ganztagsschulen und in Krankenhäusern. Für sie ist ihre Arbeit zwar erfüllend, aber auch sehr fordernd – sowohl körperlich als auch psychisch. Dass diese meist weiblichen Erzieher, Sozialarbeiter und Heilerziehungspfleger viel leisten und den Respekt der Gesellschaft haben und verdienen, ist unumstritten. Aber im Gehalt spiegelt es sich nicht wider.
Deshalb startete die Gewerkschaft ver.di eine Kampagne: Aufwerten jetzt! um die Sozial- und Erziehungsberufe endlich angemessen aufzuwerten. Menschen in sozialen Berufen leisten wichtige und gute Arbeit und sie müssen dementsprechend bezahlt werden.
Nach fünf Verhandlungsrunden zwischen den Gewerkschaften ver.di und GEW mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), die alle ergebnislos verliefen, stellte die ver.di Bundestarifkommission für den öffentlichen Dienst fest, dass die Verhandlungen gescheitert sind.
Die Gewerkschaften fordern eine neue Eingruppierung im Tarifsystem für rund 240.000 Angestellten im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst. Die geforderte Eingruppierung würde eine Lohnerhöhung von durchschnittlich 10 Prozent bedeuten. Nach Angaben der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände beläuft sich die Summe der Forderungen auf 1,2 Milliarden Euro. Diese Summe sei nicht bezahlbar. Begründet wird die Höherstufung mit einer erheblichen Erweiterung der Aufgabenfelder der Mitarbeiter. Sowohl im administrativen Bereich als auch in der Fürsorge der Kinder und Jugendlichen sind die Anforderung der Beschäftigten sehr hoch. In den letzten Jahren hat sich der Aufgabenbereich der Erzieher stetig erweitert. Wenn sie die Kinder nicht nur “aufbewahren”, sondern ihre Arbeit gut machen wollen, müssen sie die Rahmenbedingungen dafür haben, um insbesondere auf die Bedürfnisse und Defizite dieser Kinder eingehen zu können. Dazu kommt noch der ständige Personalmangel, zu wenige Betreuer für zu viele Kinder, Ausfälle durch Erkrankungen, sodass sich viele Beschäftigte in diesem Bereich permanent überfordert fühlen. Ebenso wird natürlich eine Verbesserung der Qualität der Arbeit gefordert und ein erweitertes Angebot für Heranwachsende.
Der VKA argumentiert, dass Erzieher schon 2009 eine finanzielle Aufwertung ihrer Tätigkeit bekommen haben. Doch nach der Umstellung vom BAT-System (Bundes-Angestellentarifvertrag) zum Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes (TVÖD) im Jahre 2005, mussten Angestellte Lohneinbußen ohne Aufstiegsmöglichkeiten hinnehmen, die dann 2009 lediglich verringert wurden.
Somit sind die Gewerkschaftsmitglieder zur Urabstimmung aufgerufen – die bis zum 5. Mai durchgeführt werden kann. Der ver.di Bundesvorstand entscheidet laut ihrer Satzung über die Einleitung und Durchführung eines Erzwingungsstreiks. Mindestens 75 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder müssen sich für einen Streik aussprechen, damit es zu einem unbefristeten Streik kommt.
Und wieder einmal müssen sich die Streikenden dafür rechtfertigen, dass ihre Ausbildung und Arbeit nötig sind und dass ihre Arbeit einen Wert hat in einem kapitalistischen System, das auf Profit beruht, aber in diesem Fall im Bereich, Erziehung, Bildung und Pflege kein Profit zu erlangen ist. Und an diesem Punkt zeigt sich die Schwierigkeit dieses Streiks. Wenn etwa Piloten die Arbeit niederlegen, verliert ein Unternehmen Millionen Euro. Wenn Fabrikarbeiter die Arbeit niederlegen und dadurch die Produktion stoppen, ist der Arbeitgeber unter Druck um keine finanziellen Verluste zu riskieren. Diesen Druck können die Erzieher mit ihrem Streik auf die kommunalen Arbeitgeber nicht in diesem Maße aufbauen. Denn der Streik schadet den Städten vorerst gar nicht. Sie sparen sogar Geld – das Gehalt der Erzieher wird für diese Zeit aus der Streikkasse von den Gewerkschaften bezahlt. Deshalb muss der Druck auf die Arbeitgeber mit der Unterstützung der Öffentlichkeit aufgebaut werden. Die Arbeitgeberverbände, einzelne Arbeitgeber und wesentliche Teile der Politik versuchen mit unterschiedlichen Maßnahmen die wenigen Streikrechte immer weiter einzuschränken und zurück zu drängen. Große Teile der Massenmedien berichten meist tendenziell gegen Streikmaßnahmen. Die Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland haben seit den 50er Jahren zu geringe Anstrengungen unternommen, das Streikrecht oder weitere Kampfformen auszuweiten oder zu verbessern. Meistens wurden die wenigen bestehenden Rechte eher verteidigt.
Eine Erzieherin startet heute, bei einer 100 Prozent Stelle mit einem Gehalt von 2300 Euro brutto – überwiegend arbeiten hier Frauen, oft in Teilzeit – das reicht heute nicht zum Leben und sorgt morgen für Armutsrenten vor allem bei Frauen. Das Gehalt der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsbereich liegt im Schnitt 600 Euro unter dem Durchschnittslohn.
Es ist immer noch Realität, dass Frauen, die den Großteil der Beschäftigten in Sozial- und Erziehungsberufen ausmachen, benachteiligt werden. Sie sind das Standbein unserer Gesellschaft und leisten die notwendige Erziehungsarbeit. Diese wichtige Rolle und Bedeutung in der Gesellschaft wird weder anerkannt noch gut bezahlt.
Noch stoßen die Aktionen uns Streiks weitgehend auf Verständnis in der Bevölkerung und eine mediale Hetze, vergleichbar mit den Bahnstreiks, blieb bislang noch aus. Sollte aber ein Arbeitskampf mit einer wochenlangen Streikwelle kommen, ist mit einer Kampagne gegen “unverantwortliche” ErzieherInnen, die ihre Interessen auf dem “Rücken der Kinder und Eltern” durchsetzen wollen, zu erwarten.
Bei den ersten Warnstreiks der Beschäftigten im Sozial – und Erziehungsdienst waren die Sympathien der Eltern für die Erzieherinnen deutlich. Und diese Solidarität muss gestärkt werden. Der Kampf muss gemeinsam geführt werden, mit allen Betroffenen. Es muss klar gemacht werden, dass eine verbesserte Entlohnung nicht umgelegt werden darf, auf private Haushalte der Lohnabhängigen oder die Arbeiterklasse. Die Bundesregierung muss die finanziellen Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Kommunen dazu auch in der Lage sind die Beschäftigten gerecht zu entlohnen. Es muss klar werden, dass dies längst ein politischer Streik ist und das übliche Tarifrundenritual immer mehr an seine Grenzen stößt.

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