Die Tragödie in Aschaffenburg und ihre politischen Folgen

Dr. Soraya Moket
Die Tat am 22.01.2025 in Aschaffenburg ist eine zutiefst erschütternde und verwerfliche Handlung, die ohne Einschränkung verurteilt werden muss. Unser tiefstes Mitgefühl gilt den Opfern und ihren Angehörigen, deren Schmerz und Verlust uns alle betroffen machen. Solche tragischen Ereignisse hinterlassen nicht nur bei den direkt Betroffenen tiefe Spuren, sondern auch in der gesamten Gesellschaft. Umso wichtiger ist es, in dieser schwierigen Zeit mit Besonnenheit und Sachlichkeit zu reagieren.
Keine Instrumentalisierung des Leids für politische Zwecke
Die Stadt Aschaffenburg und die Familien der Opfer haben klar zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht möchten, dass ihr Leid politisch instrumentalisiert wird. Diese Bitte muss respektiert werden. Wer die Tat nutzt, um pauschale Schuldzuweisungen gegen ethnische oder religiöse Gruppen zu richten, spaltet die Gesellschaft und lenkt von den eigentlichen Herausforderungen ab. Solche Mechanismen gefährden den gesellschaftlichen Zusammenhalt und untergraben das Vertrauen in eine sachliche und lösungsorientierte Auseinandersetzung mit Gewalt und Kriminalität.
Solidarität als Zeichen gesellschaftlicher Stärke
Trotz der Tragödie zeigt sich in Aschaffenburg eine beeindruckende Welle der Solidarität: Menschen mit und ohne Migrationsbiografie stehen gemeinsam ein, um ihr Mitgefühl auszudrücken und den Opfern Respekt zu erweisen. Diese Reaktion beweist, dass grundlegende Werte wie Menschlichkeit und Empathie über Herkunft und Religion hinaus eine Gesellschaft verbinden. Gerade in schwierigen Zeiten wird sichtbar, wie stark das gemeinschaftliche Band in einer vielfältigen Gesellschaft sein kann.
In Reaktion auf diese erschütternde Gewalttat fanden nicht nur in Aschaffenburg, sondern auch in zahlreichen deutschen Städten bundesweite Demonstrationen gegen den erstarkenden Rechtspopulismus und die zunehmende politische Polarisierung statt. So versammelten sich am Mittwoch, 25. Januar 2025, rund 3.000 Menschen in Aschaffenburg zu einer friedlichen Kundgebung, die vom Bündnis „Aschaffenburg ist bunt“ organisiert wurde. Damit setzten die Teilnehmer:innen ein klares Zeichen gegen die Vereinnahmung tragischer Ereignisse durch rechte Akteur:innen und gegen die Instrumentalisierung von Gewalt für rassistisch motivierte Agenden.
Auch an diesem Wochenende weiteten sich die Proteste weiter aus: In vielen Städten gingen erneut tausende Menschen auf die Straße, um sich gegen den Rechtsextremismus und die Instrumentalisierung von Gewalt zu stellen. Insgesamt beteiligten sich über 100.000 Menschen an den Demonstrationen, um Solidarität mit den Opfern rechter Hetze zu zeigen und für eine offene, demokratische Gesellschaft einzutreten.
Die Ereignisse in Aschaffenburg und die daraus resultierenden Proteste haben eine tiefgehende politische Debatte über den Umgang mit sicherheitspolitischen Maßnahmen, den Schutz von Menschenrechten und die Wahrung gesellschaftlicher Werte ausgelöst. Sie verdeutlichen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt nicht durch Spaltung und Generalverdacht gestärkt wird, sondern durch eine Politik, die auf Fakten, Besonnenheit und Menschlichkeit basiert.
Politische Zuspitzung im Wahljahr: als Wahlkampfthema
Diese politische Auseinandersetzung wird jedoch von einer zunehmend polarisierten gesellschaftspolitischen Debatte überschattet. Im Vorfeld der bevorstehenden Wahlen setzen einige politische Akteur:innen Migration und Sicherheit als zentrale Wahlkampfthemen – nicht, um langfristige, konstruktive Lösungen zu finden, sondern um Ängste zu schüren und die öffentliche Meinung zu manipulieren. Die gezielte Kriminalisierung von Geflüchteten und Migrant:innen sowie die Darstellung von Migration als Bedrohung dienen dabei nicht der gesellschaftlichen Versöhnung, sondern der weiteren Spaltung.
In diesem Kontext brachte die CDU/CSU-Fraktion am 29. Januar 2025 einen Antrag ein, der die Bundesregierung auffordert, umfassende Zurückweisungen an den deutschen Grenzen durchzuführen. Im Kern strebt der Antrag an, dass auch Menschen, die Asylanträge stellen möchten, künftig die Einreise nach Deutschland verweigert wird. Auch wenn dieser Antrag rechtlich nicht bindend ist, erregte er aufgrund der breiten Unterstützung aus der Opposition beträchtliche Aufmerksamkeit. Durch die Zustimmung von FDP, AfD und einigen fraktionslosen Abgeordneten erhielt der Antrag eine Mehrheit, während die Regierungsparteien SPD und Grüne sowie die Linke sich klar dagegenstellten. Das BSW erklärte sich neutral und enthielt sich der Stimme.
Am 31. Januar 2025 legte die CDU/CSU-Fraktion zudem einen Gesetzesentwurf vor, der unter anderem den aktuell auf 1.000 Personen pro Monat begrenzten Familiennachzug für Ausländer mit eingeschränktem Schutzstatus vorerst aussetzen soll. Darüber hinaus sah das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz vor, dass die Bundespolizei bei Antreffen von Ausreisepflichtigen in ihrem Zuständigkeitsbereich diese direkt in andere Länder zurückschicken darf. Doch dieser Entwurf fand im Bundestag keine Mehrheit. Trotz der Initiative der CDU/CSU scheiterte das Gesetz überraschend, da sich mehrere Abgeordnete der FDP und CSU bei der Abstimmung enthielten oder nicht abstimmten, wodurch die erforderliche Mehrheit verfehlt wurde. Dieser Ausgang stellt einen erheblichen politischen Rückschlag für die Befürworter:innen der Gesetzesverschärfungen dar.
Die politischen Auseinandersetzungen rund um diesen Gesetzesentwurf verdeutlichen einmal mehr die tiefen Spaltungen innerhalb der deutschen Migrationspolitik. Der Vorstoß löste eine breite politische Diskussion aus und wurde von vielen als eine ernsthafte Gefährdung der humanitären Verpflichtungen Deutschlands sowie der demokratischen Grundwerte des Landes wahrgenommen. Kritiker:innen warnten, dass eine solche Gesetzesverschärfung nicht nur den Prinzipien des Rechtsstaats widersprechen würde, sondern auch die Werte untergraben könnte, die im deutschen Grundgesetz und in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert sind.
Dieser Vorfall sendet ein deutliches und alarmierendes Signal: Der Versuch, die Asylpolitik drastisch zu verschärfen, gefährdet nicht nur Deutschlands humanitäre Verantwortung, sondern stellt auch eine erhebliche Bedrohung für die demokratischen Grundwerte des Landes dar.
Anstatt sich mit der Bekämpfung der eigentlichen Fluchtursachen auseinanderzusetzen, wird hier zunehmend die Kriminalisierung von Geflüchteten als politisches Ziel verfolgt. Dies steht in fundamentalem Widerspruch zu den Prinzipien der Menschenrechte, wie sie im Grundgesetz und in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert sind. Die angestrebte Verschärfung ist nicht nur ein Angriff auf die Rechte von Geflüchteten, sondern reflektiert auch tief verwurzelte koloniale und neokoloniale Machtverhältnisse, die die politische Agenda sowie die Wahrnehmung von Migration und Flüchtlingen in Deutschland prägen.
Die Folgen der Annäherung an die AfD
Die Reaktionen auf die Annäherung an die AfD waren von Empörung und Enttäuschung geprägt. Besonders auffällig war der Austritt des CDU-Politikers Friedmann aus der Partei, der sich entschieden gegen die Zusammenarbeit mit der AfD stellte und die Vereinbarung als Verrat an den grundlegenden demokratischen Werten anprangerte. Auch Angela Merkel äußerte scharfe Kritik und betonte, dass die CDU ihren Weg nicht in der Kooperation mit rechtsextremen Kräften finden dürfe. Besonders dramatisch war die Reaktion von Zvi Wachsman, einem Holocaust-Überlebenden, der als Zeichen seiner tiefen Enttäuschung das Bundesverdienstkreuz zurückgab. Wachsman, der die Grauen des Nationalsozialismus selbst erlebte, warf der CDU vor, sich mit Kräften zu verbünden, die die Grundwerte der deutschen Demokratie und die Erinnerungskultur gefährdeten. Diese starken Reaktionen verdeutlichen die tiefen inneren Konflikte innerhalb der politischen Landschaft und das wachsende Gefühl, dass die Werte der Menschlichkeit, der Toleranz und der offenen Gesellschaft zunehmend in den Hintergrund gedrängt werden könnten.
Die Geschehnisse in Aschaffenburg und die darauffolgenden Proteste haben eine weitreichende politische Debatte über den Umgang mit sicherheitspolitischen Maßnahmen, den Schutz von Menschenrechten und die Wahrung gesellschaftlicher Werte ausgelöst. Sie verdeutlichen, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt nicht durch Spaltung und Generalverdacht gestärkt werden kann, sondern nur durch eine Politik, die auf Besonnenheit, Fakten und Menschlichkeit basiert.
Gemeinsame Verantwortung für eine inklusive Gesellschaft
Die Tragödie in Aschaffenburg sollte uns nicht weiter auseinanderbringen, sondern als Mahnung dienen, wie wichtig Zusammenhalt, Solidarität und eine sachliche politische Debatte sind – gerade in Zeiten, in denen gesellschaftliche Herausforderungen immer drängender werden. In einer Gesellschaft, die zunehmend polarisiert ist, bietet die pauschale Verurteilung ganzer Gruppen keine Lösungen, sondern verschärft lediglich die Probleme. Es ist unerlässlich, den Blick auf das Gemeinsame zu richten, statt sich durch ideologische und populistische Spaltungen treiben zu lassen.
Statt populistischer Schuldzuweisungen, die einzelne Gruppen für die komplexen gesellschaftlichen Probleme verantwortlich machen, braucht es eine Politik, die auf Fakten basiert und die Ursachen von Gewalt und gesellschaftlicher Fragmentierung ernsthaft angeht. Es braucht eine klare Haltung gegen Spaltung, Hetze und Hass, um eine gerechte, inklusive Zukunft zu schaffen. Eine Zukunft, in der das Leid von Opfern nicht als politisches Instrument missbraucht wird, sondern in einer Gesellschaft mündet, die aus Tragödien lernt und als Gemeinschaft gestärkt daraus hervorgeht.
Im Fall Aschaffenburg ist es bekannt, dass der mutmaßliche Täter aufgrund seiner psychischen Auffälligkeiten und Gewaltbereitschaft bereits den Behörden bekannt war. Dies zeigt deutlich, wie wichtig es ist, präventive Systeme zu etablieren, die solche Risiken frühzeitig erkennen und entschlossen handeln können. Nur so können wir verhindern, dass solche Taten eskalieren. Es wird sichtbar, dass Gewalt keine Unterschiede hinsichtlich Herkunft, Religion oder Identität der Opfer macht – unter den Opfern war auch eine Person mit Migrationsbiografie. Gewalt betrifft uns alle als Gesellschaft, unabhängig von unserer Herkunft oder Zugehörigkeit. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, sich entschieden gegen Pauschalisierungen und Polarisierungen zu stellen und stattdessen differenzierte, faktenbasierte Maßnahmen zu fördern.
Die Geschichte und auch die aktuellen Ereignisse verdeutlichen, dass das Schüren von Vorurteilen und Stereotypen den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet und eine gefährliche Dynamik entfaltet. Die rechtsextremen Terroranschläge der letzten Jahrzehnten – wie in Mölln, Solingen, Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, München, Halle und Hanau – sind tragische Beispiele dafür, wie pauschale Verbindungen zwischen Gewalttaten und Migration oder bestimmten Bevölkerungsgruppen das gesellschaftliche Klima vergiften und zu weiteren Gewalttaten anstiften können. Diese ideologisch motivierten Angriffe sind eine direkte Folge von Hass, Stigmatisierung und der Instrumentalisierung von Vorurteilen.
Verantwortung gegen Spaltung und Ausgrenzung
Es ist die Verantwortung aller, insbesondere der demokratischen Parteien und engagierten Bürgerinnen und Bürger, entschlossen gegen die Mechanismen von Spaltung und Ausgrenzung vorzugehen. Populistische Narrative, die Migrant:innen oder bestimmte gesellschaftliche Gruppen unter Generalverdacht stellen, müssen entschieden entgegentreten werden. Stattdessen sind präventive Maßnahmen gefragt, die auf fundierten Fakten, einem offenen gesellschaftlichen Dialog und einer klaren Abgrenzung gegenüber jeglicher Form von Extremismus basieren.
Deutschland steht an einem entscheidenden Punkt: Es muss sich zu einer inklusiven Gesellschaft weiterentwickeln, die nicht nur die Menschenrechte wahrt, sondern auch strukturelle Diskriminierung konsequent abbaut und die Vielfalt als eine ihrer größten Stärken anerkennt. Hierfür reicht es nicht, symbolische Gesten zu setzen oder gelegentliche politische Maßnahmen zu ergreifen. Eine gerechte Gesellschaft erfordert tiefgreifende, strukturelle Reformen, die den aktiven Dialog und die Einbindung aller Communities in politische Entscheidungsprozesse fördern.
Die Grundlage für diese Entwicklung muss die im Grundgesetz verankerte Anerkennung der Menschenwürde und die Gleichheit vor dem Gesetz sein. Nur wenn diese Werte konsequent in der Praxis umgesetzt werden, kann Deutschland zu einer gerechteren und demokratischen Einwanderungsgesellschaft werden. Eine solche Politik muss Solidarität und Chancengleichheit stärken und sich zugleich klar gegen populistische, ausgrenzende Narrative stellen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden.
Bundeswahlkampf 2025: Für eine Demokratie im Einklang mit den Grundwerten des Grundgesetzes
Der Bundeswahlkampf 2025 muss in Übereinstimmung mit den unveräußerlichen Prinzipien des Grundgesetzes geführt werden, die die Würde des Menschen, die Gleichheit vor dem Gesetz und das Diskriminierungsverbot fest verankern. Es darf nicht zugelassen werden, dass Rassifizierte Menschen und oder Migrant:innen als Sündenböcke für politische Interessen missbraucht oder ideologische Narrative verwendet werden, um gesellschaftliche Spaltungen zu vertiefen.
Deutschland kann nur dann eine gerechte, demokratische und zukunftsfähige Einwanderungsgesellschaft sein, wenn es die Werte aus Artikel 1 und 3 des Grundgesetzes konsequent umsetzt. Diese Werte fordern die Anerkennung der Vielfalt als gesellschaftliche Bereicherung und die aktive Förderung von Chancengleichheit für alle Menschen – unabhängig von Herkunft, Religion oder Identität. Dies erfordert jedoch tiefgreifende, strukturelle Reformen, die Diskriminierung abbauen, die gesellschaftliche Teilhabe aller ermöglichen und Solidarität als tragendes Prinzip fördern.
Ein Wahlkampf, der diese Verfassungsideale respektiert, stärkt nicht nur den gesellschaftlichen Zusammenhalt, sondern auch die Widerstandskraft unserer Demokratie gegenüber den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.
In diesem Kontext darf die Verantwortung des Westens für die Ursachen von Flucht und Migration nicht weiter vernachlässigt werden. Migration ist nicht nur eine Folge regionaler und politischer Krisen im Globalen Süden, sondern auch das Ergebnis westlicher Wirtschafts- und Außenpolitik. Ungerechte Handelsabkommen, die Ausbeutung von Ressourcen und die Unterstützung autoritärer Regime tragen entscheidend zur Destabilisierung vieler Länder bei und verstärken die Fluchtursachen. Es ist daher unerlässlich, dass Deutschland eine zukunftsorientierte, menschenrechtsbasierte Politik entwickelt, die diese globalen Ungleichgewichte anerkennt und aktiv daran arbeitet, sie zu überwinden.
Ein Bundeswahlkampf, der sich an den Prinzipien des Grundgesetzes orientiert und die Verantwortung des Westens für Fluchtursachen anerkennt, kann den Weg zu einer inklusiveren, gerechteren Gesellschaft ebnen, die sich ihrer internationalen Verantwortung bewusst ist. Nur so wird es möglich sein, das politische Vertrauen zu stärken und eine Demokratie zu fördern, die allen Menschen gerecht wird.
Nachtrag: Der Text wurde von der Autorin vor den Bundestagswahlen verfasst